Sonntag, 27. Februar 2011

Situationale Bedingungen

Beim Auftreten von aggressiven Verhalten spielen neben Persönlichkeitsvariablen auch situative Einflüsse eine entscheidende Rolle. Besonders gut erforschte situationale Bedingungen sind die Wirkung von aggressiven Hinweisreizen, Alkohol und Umweltstressoren.

Gliederung:

1. Aggressive Hinweisreize

1.1 Der Waffeneffekt

1.2 Der Primingeffekt von aggressiven Hinweisreizen

2. Die Wirkung von Alkohol

2.1 Hypothesen zum Zusammenhang zwischen Alkohol und Aggression

2.2 Das balancierte Placebodesign

2.3 Moderatorvariablen

2.4 Studie: Alkohol als aggressiver Hinweisreiz

3. Die Wirkung von Umwelt-Stressoren

4. Quellen

1. Aggressive Hinweisreize

Unter aggressive Hinweisreize fallen zum einen Waffen, aber auch alle andere Dinge die eine aggressive Konnotation besitzen, wie zum Beispiel Bilder kämpfender Menschen oder Namen von Schauspielern, die in einem besonders aggressiven Film mitgespielt haben. Allgemein werden aggressive Hinweisreize als Merkmale der Situation definiert, welche die Aufmerksamkeit des Handelnden auf die Möglichkeit einer aggressiven Reaktion lenken. Ein wichtiger Befund in diesem Zusammenhang ist der sogenannte Waffeneffekt, der erstmals von Berkowitz und LePage (1967) nachgewiesen wurde und seitdem auch Eingang in die Alltagspsychologie und in die Populärkultur gefunden hat.

In diesem Simpsons-Video http://www.youtube.com/watch?v=t4dVMbsPQwk&NR=1

, das Homer beim Waffeneinkauf zeigt, wird der Waffeneffekt andeutungsweise dargestellt.

1.2 Der Waffeneffekt

Die Basis der Studie war die Frustrations-Aggressionshypothese von Dollard und Miller, die besagt, dass durch die Blockierung einer zielgerichtete Aktivität bei einer Person Frustration ausgelöst wird. Frustration bedingt aggressives Verhalten zwar nicht, erhöht aber dessen Auftretungswahrscheinlichkeit. Berkowitz und LePage haben sich dementsprechend gefragt, welche Bedingungen gegeben sein müssen, dass auf Frustration Aggression folgt und untersuchten in diesem Zusammenhang die Wirkung von situativen Hinweisreizen. Der Versuch war folgendermaßen aufgebaut: In einem ersten Teil wurden die Versuchsteilnehmer durch eine negative Rückmeldung bzw. der Gabe von Stromschlägen frustriert. Der Grad der Frustration wurde hierbei variiert – ein Teil der Versuchsteilnehmer bekam nur einen einzigen Schock, ein anderer Teil bekam sieben Elektroschocks, was zu einer deutlich stärkeren Frustration führen sollte. Im zweiten Teil des Experiments wurden die Versuchsteilnehmer schließlich aufgefordert, der Person, die ihnen vorher die Stromschläge verabreicht hatte, nun ihrerseits Stromschläge zu erteilen. Dies geschah unter drei verschiedenen Bedingungen: der Anwesendheit einer Waffe (aggressiver Hinweisreiz), der Anwesendheit eines Badmintonschlägers (neutraler Hinweisreiz) und ohne Hinweisreiz. Die Anzahl der verabreichten Stromschläge wurde jeweils gemessen. Als Ergebnis zeigte sich, dass bei Anwesendheit einer Waffe die Versuchsteilnehmer deutlich mehr Stromschläge verabreichten, sich also deutlich aggressiver verhielten. Unter dem Waffeneffekt versteht man folglich, dass Personen, die zuvor einer Frustration ausgesetzt waren, sich in der Gegenwart einer Waffe aggressiver verhalten als in der Gegenwart neutraler Objekte.

Dieses Ergebnis gab Anstoß für viele weitere Studien. So konnten Carlson und Kollegen (1990) den Effekt auch zu geringerem Grad bei Personen in neutraler Stimmungslage, also ohne vorheriger Frustration, nachweisen.

1.3 Der Primingeffekt von aggressiven Hinweisreizen

Ausgehend von verschiedenen Befunden wurde die Hypothese des Primingseffekts von waffenbezogenen Hinweisreizen aufgestellt. Laut dieser Hypothese aktivieren Hinweisreize kognitive Schemata, die ihrerseits aggressive Handlungsoptionen in das Bewusstsein rufen. So könnte durch ein aggressives Prime bei einer Meinungsverschiedenheit eine gewalttätige Lösung für angebrachter gehalten werden. Um die Hypothese des Primingeffekts zu untersuchen führte Anderson 1998 folgendes Reaktionszeitexperiment durch. Den Versuchspersonen wurden Wortpaare präsentiert. Das erste Wort stellte jeweils das Prime dar und war entweder ein Waffenwort (waffenbezogener Hinweisreiz) oder ein Tierwort (neutraler Hinweisreiz). Das zweite Wort hatte entweder eine aggressive Bedeutung oder eine neutrale. Aufgabe der Probanden war es, nachdem sie das erste Wort gelesen hatten, das zweite so schnell wie möglich auszusprechen. Es wurde vorhergesagt, dass in Abhängigkeit davon, ob das erste Wort ein Tierwort oder ein Waffenwort war, sich die Reaktionszeiten für das Aussprechen des zweiten Wortes systematisch unterscheiden müssten. Tatsächlich wurden Wörter mit aggressiver Bedeutung schneller ausgesprochen, wenn sie auf einen waffenbezogenen Prime folgten, als wenn sie auf ein Tierwort folgten. Außerdem hatten waffenbezogene Primes keinen Einfluss auf die Reaktionszeit für neutrale Wörter. Dies kann als ein Beleg dafür dienen, dass waffenbezogene Wörter aggressionsbezogene Schemata aktivieren. Inwieweit sich dies in einer Situation außerhalb des Labors auswirkt, bleibt aber dahin gestellt. Die Effekte der verkürzten Reaktionszeit sind zwar statistisch signifikant, praktisch sind die Unterschiede in der Reaktionszeit jedoch recht gering. So beträgt der Unterschied der Reaktionszeiten bei aggressiven Wörtern, abhängig davon ob ein waffenbezogenen Prime oder ein Tierprime vorangestellt war, gerade zwölf Millisekunden.

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2. Der Zusammenhang zwischen Alkohol und aggressiven Verhalten

Unter Alkoholeinfluss haben Personen eine stärkere Tendenz dazu, aggressives Verhalten zu zeigen, als im nüchternen Zustand. Dies kann durch zahlreiche Befunde untermauert werden.

So wurde laut der Kriminalstatistik 2008 in Deutschland bei jeder dritten aufgeklärten Straftat im Bereich Gewaltkriminalität - darunter fallen Mord, Totschlag, Raub und gravierende Körperverletzungen - Alkoholeinfluss festgestellt. Auch bei anderen Straftaten wie Einbrüchen, Überfälle, häuslicher Gewalt, Gewalt bei Sportereignissen und Vandalismus spielt Alkohol eine große Rolle.

2.1 Hypothesen zum Zusammenhang zwischen Alkohol und Aggression

Durch Experimente konnte gezeigt werden, dass tatsächlich ein Ursache-Wirkungszusammenhang zwischen Alkohol und aggressiven Verhalten vorhanden ist und es wurden verschieden Hypothesen gebildet um die Wirkungsweise des Alkohols zu erklären. Ein Erklärungsansatz betont die pharmakologische Wirkung von Alkohol. So besagt die Disinhibitionshypothese, dass Alkohol direkt auf die Gehirnzentren einwirkt, die aggressives Verhalten kontrollieren. Es wird also ein zunehmender Kontrollverlust und Anstieg von aggressiven Verhalten mit steigendem Alkoholkonsum postuliert. Empirisch lässt sich aber nicht bestätigen, dass Alkoholkonsum unvermeidlich aggressiver macht. Eine plausiblere Hypothese, die ebenfalls die pharmakologische Wirkung betont, ist die Aufmerksamkeitshypothese. Laut ihr wirkt sich Alkoholkonsum nur indirekt auf aggressives Verhalten aus, nämlich durch eine Verringerung der Informationsverarbeitungskapazität. Dies verhindert eine umfassende Einschätzung der Situation; durch eine Art Tunnelblick werden nur noch die hervorstechendsten Hinweisreize wahrgenommen und verarbeitet. Handelt es sich dabei um aggressive Hinweisreize wie zum Beispiel einer Provokation, sollte die Person stärker zu Aggressivität tendieren. Wenn jedoch nicht provokative Hinweisreize stärker hervorstechen, sollte das Gegenteil zutreffen und die Person sich friedlicher verhalten, als sie es im nüchternen Zustand würde. Viele Forschungsergebnisse stehen in Einklang mit dieser These. Ein anderer Erklärungsansatz betont die psychische Wirkung des Alkohols, die mit einem Placeboeffekt vergleichbar ist. Die Erwartungshypothese betont diese psychische Wirkung. Sie erklärt sich die Zunahme von Aggressivität durch die kulturellen und individuellen Erwartungen die hinsichtlich Alkohol herrschen und der Tendenz sich erwartungskonform mit diesen zu verhalten. Da es schließlich allgemein bekannt ist, dass Alkoholkonsum mit Kontrollverlust und erhöhter Impulsivität einhergeht, werden Trinkgelegenheiten als soziale Auszeiten definiert, in denen man selbst keine Verantwortung für sein Tun trägt. Dies begünstigt das Auftreten von Aggression.

2.2 Das balancierte Placebodesign

Verabreichung von Alkohol

Erwartung von Alkohol

Nein

Ja

Nein

Kontrollgruppe

Placebogruppe

Ja

Anti-Placebogruppe

Alkoholgruppe

Abbildung 1: Balanciertes Placebodesign

Eine prototypische Methode um die Gültigkeit der verschiedenen Hypothesen zu prüfen ist das balancierte Placebodesign. Die Probanden werden in vier Gruppen eingeteilt: eine Kontrollgruppe, die keinen Alkohol erhält, eine Placebogruppe, die fälschlicherweise glaubt Alkohol getrunken zu haben, eine Gruppe, die weiß, dass sie Alkohol getrunken hat, sowie eine Anti-Placebogruppe, die nichts von ihrem Alkoholkonsum weiß. Daten aus der Anti-Placebogruppe sind insofern problematisch, da es durch den charakteristischen Eigengeschmack von Alkohol relativ schwer ist den Probanden Alkohol „unterzumogeln“, sodass oft ein Großteil dieser Probandengruppe schließlich Verdacht schöpft und aus dem Experiment ausscheiden muss. Durch den Vergleich des Aggressivität der vier Gruppen untereinander wird die Trennung von erwartungsbedingter und pharmakologischer Wirkung möglich. Eine Metaanalyse von 30 Studien durchgeführt von Bushman und Cooper (1990) kam zu dem Ergebnis, dass der größte Unterschied hinsichtlich Aggression zwischen der Placebogruppe und der Alkoholgruppe besteht. Dies spricht für die pharmakologischen Effekte Alkohol als Hauptursache für Aggression. Der zweitgrößte Unterschied besteht zwischen der Alkohol- und der Kontrollgruppe. Insgesamt kann also davon ausgegangen werden, dass die Kombination von Erwartungen mit pharmakologischen Effekten für die erhöhten Aggressionswerte verantwortlich ist. Erwartungen alleine, genauso wie die physiologische Wirkung alleine, sind unzureichende Erklärungen.

2.3 Moderatorvariablen

Selbstverständlich wird nicht jeder Mensch, der unter Alkoholeinfluss steht, unweigerlich aggressiver und auch die Menge an konsumierten Alkohol kann Aggressivität nicht vorhersagen. Es gibt jedoch Moderatorvariablen, die Aggressivität unter Alkoholeinfluss begünstigen. So kann beispielsweise Provokation eine maßgebliche Rolle spielen, denn im Gegensatz zu nüchternen Personen, reagieren alkoholisierte Personen schon auf geringe Provokationen auf eine aggressive Weise. Auch auf Frustration reagieren alkoholisierte Personen generell aggressiver. Ein weiterer Faktor ist der Abfall an selbstfokussierter Aufmerksamkeit während eines Rausches ,welche zu einem Verhalten führt, das weniger geprägt ist von persönlichen Überzeugungen und Wertvorstellungen als durch Hinweisreize der Situation. Stechen aggressive Hinweisreize hervor, sind aggressive Verhaltensweisen entsprechend wahrscheinlicher.

2.4 Studie: Alkohol als aggressiver Hinweisreiz

2.5

In dem folgenden Primingexperiment zu „Automatic Effects of Alcohol and Aggressive Cues on Aggressive Thoughts and Behaviors” (2010) von Subra, Muller und Kollegen

wurde die Wirkung von Alkohol als aggressiver Hinweisreiz untersucht. Es basiert auf der Theorie, dass durch ein assoziatives Netzwerk die Konzepte „Alkohol“ und „Aggression“ im Gedächtnis eng miteinander verbunden sind, sodass bei der Aktivierung des einen Konzeptes das andere Konzept automatisch mitaktiviert wird. Die enge Verbindung der beiden Konzepte im Gedächtnis erklärt sich durch das häufige gleichzeitige Auftreten im Alltag. Ausgehend von dieser Theorie wurde die Hypothese geprüft, dass Alkohol-bezogenen Hinweisreize – das können zum Beispiel Bierflaschen oder Schnapswerbung sein – automatisch aggressive Gedanken aktivieren. Getestet wurde die Annahme mithilfe einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe. Den Versuchsteilnehmern wurden eine Reihe von Wörter mit aggressiver vs. nicht-aggressiver Bedeutung oder Nicht-Wörter präsentiert und sie mussten jeweils entscheiden, ob es sich um ein existierendes Wort handelte oder nicht. Vor jedem Wort wurde für eine Zeitspanne von 200 ms, also so kurz, dass es außerhalb der bewussten Wahrnehmung der Probanden lag, ein Foto präsentiert. Dieses Foto diente als Prime und bildete entweder Flaschen alkoholischer Getränke, Flaschen nicht alkoholischer Gertränke oder Waffen ab. Gemessen wurde dann die Zeit, welche die Probanden für die Entscheidung Wort oder Nicht-Wort benötigten. Es wurde vorausgesagt, dass die Teilnehmer nach der Präsentation eines alkoholischen bzw. aggressiven Primes schneller auf aggressive Wörter reagieren würden als nach der Präsentation eines nicht-aggressiven Primes. Tatsächlich ergaben sich entsprechende Interaktionen zwischen Primeart und Wortart, wobei die Reaktionszeitunterschiede zwischen Alkohol- und Aggressionsprime nicht signifikant waren. Dies legt neben einer engen Verknüpfung der zwei Konzepte auch nahe, dass Alkohol und Waffen die Zugänglichkeit aggressiver Gedanken zu gleichen Maßen erhöhen. Laut diesem Experiment könnte Alkohol also einen aggressionssteigernden Einfluss haben, ohne das man es trinkt. Jedoch muss dabei berücksichtigt werden, dass die Reaktionszeiteffekte so klein sind – im Millisekunden Bereich –, dass im Alltag keine Konsequenzen durch die Exposition von alkoholischen Hinweisreizen zu erwarten sind.

3. Die Wirkung von Umwelt-Stressoren

Umwelt-Stressoren, die einen Einfluss auf aggressives Verhalten haben sind Gedränge, Lärm und Gestank. Den Einfluss, den sie auswirken, ist jedoch begrenzt; sie haben lediglich eine Verstärkerfunktion, das heißt sie können schon vorhandene aggressive Handlungstendenzen verstärken, nicht aber völlig neu generieren. Diese Verstärkung geschieht durch den Anstieg von negativen Arousal, den die Umwelt-Stressoren bedingen.

Untersuchungen legen nahe, dass die Wahrnehmung von Gedränge äußerst subjektiv ist und es sich von Person zu Person unterscheidet, ab wann Platzmangel zu einem Gefühl der Enge führt. Außerdem muss Gedränge nicht zwangsläufig als unangenehm empfunden werden, sondern kann, abhängig von der Umgebung, auch als positives Zeichen der Belebtheit eines Ortes wahrgenommen werden. Somit kann im Einzelfall schwer vorhergesagt werden, ob sich die Wahrscheinlichkeit von Aggression durch Gedränge wirklich erhöht. Es gibt jedoch Bedingungen unter welchen eine Verstärkerfunktion besonders wahrscheinlich wird; darunter fallen Gefängnisse oder eine eingeengte familiäre Wohnsituationen.

Lärm kann auch nur unter Einschränkungen als Aggressionsverstärker dienen; nämlich dann, wenn er als etwas Unkontrollierbares empfunden wird, dem man schutzlos ausgeliefert ist.

4. Quellen

Berkowitz L., LePage A. (1967). Weapons as aggression-eliciting Stimuli. Journal of Personality and Social Psychology, 7 (2), 202-207.

Bundesministerium des Innern. Polizeiliche Kriminalstatistik 2008, Bundesrepublik Deutschland.

Krahé B. (2001). The Social Psychology of Aggression. Hove, UK: Psychology Press.

Subra B., Muller D., Begue L., Bushman B.J., Delmas F. (2010). Automatic Effects of Alcohol and Aggressive Cues on Aggressive Thoughts and Behaviors. Personality and Social Psychology Bulletin, 36 (8), 1052-1057.

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