Freitag, 18. Februar 2011

Mediengewalt und Agressionen

Julia

1. Einführung

Mediengewalt – ein weitverbreitetes und umstrittenes Thema. Politik und Wissenschaft sind an der Frage interessiert, ob der Konsum von Gewalt in den Medien eine Auswirkung auf das Aggressionspotential des Menschen hat.
Medien, wie Fernseher und Internet stehen zunehmend im Mittelpunkt der Freizeitaktivitäten von Erwachsenen, Jugendlichen aber auch Kindern. Das Fernsehen in Deutschland ist heutzutage äußerst vielfältig und stellt einen wichtigen kulturellen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Teil der Medienlandschaft in Deutschland dar.
In seiner kurzen Geschichte von etwa 70 Jahren hat es sich technisch und inhaltlich schnell entwickelt. 95 Prozent der deutschen Haushalte verfügen mittlerweile über mindestens einen Fernseher. Das Fernsehen zählt in Deutschland heute zu den Leitmedien. Während in den Anfängen sich das Fernsehprogramm hauptsächlich um Informationen und Geschehnissen aus der Welt drehte, stehen heute Unterhaltung und Spaß im Vordergrund. Filme, Unterhaltungssendungen und Serien gewannen zunehmend an Interesse. Fernsehinstitutsinhaber und Filmemacher fanden bald heraus, dass besonders spannende, irreale und actionreiche Inhalte viele Zuschauer anziehen, wodurch Gewaltinhalte einen immer größeren Platz einnahmen. (vgl. KIM-Studie 2008)
Heute ist Mediengewalt im Fernsehen gar nicht mehr wegzudenken, was die Frage aufwirft, wie sich Mediengewalt auf den Menschen auswirkt?
Um überhaupt einen Zusammenhang zwischen Mediengewalt und ihre Wirkungen auf den Menschen aufstellen zu können, sind zwei Grundvoraussetzungen zu nennen. Einerseits die weite Verbreitung von Gewaltinhalten in den Medien, andererseits die Gegebenheit, dass der Mensch diese konsumiert.

2. Mediengewalt – Verbreitung und Konsum

In einer weitreichenden Analyse des Fernsehprogramms in Deutschland fanden Groebel und Gleich 1992 in fast der Hälfte der Programme von sechs Sendern (ARD, ZDF, SAT1, RTL, PRO7 und Tele5) zumindest eine Aggression oder Bedrohung. 20 Prozent der aggressiven Sequenzen enthielten Mord oder Todschlag. Neuere Analysen von Grimm, Kirste und Weiß
zeigen einen Anstieg auf bis zu 58 Prozent. Besonders in den privaten Sendern ist die Tendenz steigend. (vgl. Selg 2003, S.148)
Auch der Fernsehkonsum in Deutschland nimmt zu. Eine Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest fand heraus, dass Kinder (6 – 13 Jahre) durchschnittlich 91 Minuten täglich vor dem Fernseher verbringen, Jugendliche (12 – 19 Jahre) über zwei Stunden täglich und Erwachsene im Durchschnitt über drei Stunden fernsehen. Doch nicht nur im Fernsehen ist Mediengewalt vertreten, sondern auch im Internet und Videospielen. Kinder verbringen bereits durchschnittlich eine halbe Stunde im Internet. Mit zunehmendem Alter nimmt auch die Online-Zeit zu. So verbringen Erwachsene durchschnittlich über eine Stunde im Internet. (vgl. KIM-Studie 2008)
In den USA steht das Medium Fernseher noch mehr im Mittelpunkt als in Deutschland. Nach Smith und Donnerstein verbringen Kinder (2 – 11 Jahren) bereits täglich 188 Minuten vor dem Fernseher, Jugendliche (12 – 19 Jahre) 171 Minuten und Erwachsene 250 Minuten.
Wie gezeigt wurde sind die beiden Voraussetzungen, die Verbreitung von Mediengewalt und der Medienkonsum gegeben. (vgl. Selig 2003, S. 148)
Eine weitere Studie durchgeführt in den USA 1998 geht explizit auf den Konsum von Mediengewalt ein. In Deutschland gibt es hierzu leider keine vergleichbare Analyse.
Tabelle 1 zeigt das Ergebnis der Studie von James Hamelton. Er suchte gewalthaltige Serien und Filme heraus, die zu dieser Zeit populär in den USA waren und im Fernsehen liefen. Die Analyse zeigt, dass Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 49 Jahren zu gleichen Teilen gewalthaltige Inhalte konsumieren. Doch auch schon Kinder und Jugendliche für die, manche Filme und Serien noch gar nicht altersgerecht sind schauen bereits mit einem Anteil von 7 bis 17 Prozent gewalthaltige Medien. (vgl. Krahé 2001, S. 94)




Tabelle 1: Konsum von Mediengewalt in den USA (Krahé 2001, S. 94)



3. Kurzzeit- und Langzeitfolgen von Mediengewalt

Seit den frühen 1970iger Jahren ist die Wissenschaft zunehmend an dem Zusammenhang zwischen Mediengewalt und Aggression interessiert. Heutzutage gibt es zahlreiche Studien zu diesem Thema. Die meisten Studien stimmen in ihren Ergebnissen überein, dass der Konsum von gewalthaltigen Inhalten, ob durch Fernsehen, Internet oder Videospielen einen Kurzzeiteffekt auf die Steigerung des aggressiven Verhaltens des Menschen haben.
Kurzzeiteffekte
Kurzzeiteffekte werden mittels Querschnittstudien erfasst. Dabei werden die Probanden nach ihrem Medienverhalten und ihrer Einschätzung über ihr Aggressionspotential mittels Fragebögen befragt. Daraufhin werden die Versuchspersonen zufällig in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe schaut einen Film mit gewalthaltigem Inhalt beziehungsweise spielt ein Videospiel mit Gewaltinhalten, die andere Gruppe schaut einen neutralen Film beziehungsweise spielt ein Spiel ohne gewalthaltigen Inhalt. Danach werden die Probanden wiederum nach ihrem Befinden gefragt. Wood, Wong und Cachere fanden in 23 solcher Experimente stets heraus, dass Mediengewalt die Aggression von Kindern und Erwachsenen gegenüber Freunden, Familienmitgliedern und Fremden erhöht. Paik und Comstock kommen mittels Metaanalysen von 217 Studien, welche zwischen 1957 und 1990 veröffentlicht wurden auf dasselbe Ergebnis.
Direkte Einflüsse von Mediengewalt
Neben der kurzzeitigen Aggressionssteigerung kann man zudem direkte und indirekte Einflüsse auf das aggressive Verhalten erkennen. Direkte Einflüsse von Mediengewalt bilden sich insbesondere bei Kindern ab, welche in ihren Fantasiespielen Gewalthandlungen nachahmen, wie beispielsweise das Schießen mit einer imaginären Waffe. Auch bei Jugendlichen und Erwachsenen kann man einen Nachahmungseffekt erkennen. Nach spektakulären Suiziden oder auffälligen Straftaten, welche in den Nachrichten veröffentlicht werden, steigt die Suizidrate signifikant an bzw. Straftaten werden nachgemacht. Diesen Effekt nennt man auch „Werther-Effekt“ benannt nach Goehtes „Leiden des jungen Werthers“.
Indirekte Einflüsse von Mediengewalt
Unter indirekten Einflüssen durch Mediengewalt auf das aggressive Verhalten versteht man Handlungen, die nicht direkt etwas mit der gezeigten Gewalthandlung zu tun haben. So haben Miller und Heath 1991 eine signifikante Verbindung zwischen dem Schauen von Schwergewichtsboxen und der Steigerung der Mordrate erkannt. Solche Ergebnisse sollte man jedoch kritisch betrachten, da auf indirektem Wege auch noch viele andere Faktoren mit hineinfließen können. (vgl. Krahé 2001, S. 92ff)

Langzeitfolgen
Über Langzeitfolgen durch Mediengewalt kann man nur wenige Aussagen machen, da diese nur mittels Längsschnittstudien erforscht werden können.
Zum Thema Mediengewalt und Aggression gibt es eine bekannte Längsschnittstudie durchgeführt von Rowell Huesmann. Neben den Langzeitfolgen durch den Konsum von gewalthaltigen Inhalten ging er zudem der Frage nach ob erhöhter Konsum von Mediengewalt die Aggression steigert oder ob Menschen mit erhöhtem Aggressionspotential gewalthaltige Medien bevorzugt anschauen und diese Aggressionssteigerung somit natürlich veranlagt ist und nicht auf Mediengewalt zurückzuführen ist.
1960 erhob Huesmann et al. bei Kinder im Alter von acht Jahren deren Aggressionspotential mittels Selbsteinschätzung und Befragung von Freunden, Lehrern und Eltern, sowie deren Fernsehverhalten. 10 Jahre später befragte er dieselben Probanden, nun 18 Jahre alt wiederum nach ihrer Einschätzung zu ihrem aggressiven Verhalten und ihrem Fernsehverhalten. Zusätzlich erhob er weitere Indikatoren für Aggression wie kriminelle Machenschaften, Vorstrafen und ihr kriminelles Urteilsvermögen. 12 Jahre später befragte er die nun 30-Jährigen Probanden ein letzes Mal über die genannten Faktoren.


Er fand heraus, dass die Präferenz von gewalthaltigen Medien im Alter von acht Jahren eine signifikante Beziehung zur Aggressivität 10 und 22 Jahre später hat, wobei jedoch die Präferenz von gewalthaltigen Programmen nicht konstant blieb, sondern über die Zeit hinweg variiert. Somit kann man sagen, dass der Zusammenhang zwischen veranlagtem Aggressionspotential und der Präferenz von Mediengewalt geringer ist, als der kausale Zusammenhang zwischen dem Schauen von gewalthaltigen Inhalten und der dadurch gesteigerten Aggression.
Abbildung 2 zeigt den Zusammenhang zwischen der Präferenz von Mediengewalt im Alter von acht Jahren und den Verurteilungen und Vorstrafen im Alter von 30 Jahren.


Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Präferenz und aggressivem Verhalten
(Krahé 2001, S. 102)

Erhöhter Konsum von gewalthaltigen Medien mit 8 Jahren ist ein Prädiktor für Straftaten bis zum Alter von 30 Jahren. Da erhöhter Konsum von Mediengewalt in Alter von 18 Jahren keine signifikanten Auswirkungen hat, kann man schließen, dass es zwischen acht und zwölf Jahren eine „sensible Phase“ geben muss. (vgl. Krahé 2001, S. 100ff)

4. Bedingungen, die Effekte von Mediengewalt unterstützen

Eine Frage der Zuordnung
Als Beispiel ist hier ein Rugbyspiel zu nennen. Für den Fan ist Rugby ein spannender Sportwettkampf wohingegen der Laie das Rugbyspiel als brutales Gerangel zwischen feindseligen Spielern sieht. Was Gewalt ist, ist also eine Frage, wie der Mensch die beobachtete Situation einordnet.

http://www.youtube.com/watch?v=KdiEcSdIqbs&feature=related

Darstellung positiver Folgen durch aggressives Verhalten
Wird aggressives Verhalten bestraft, löst es weniger Aggression im Betrachter aus als wenn aggressives Verhalten zum Erfolg führt. In einer Studie wurden 2.500 TV-Stunden analysiert, mit dem Ergebnis, dass nur 19 % der Gewalttäter bestraft wurden. Auch bei Computerspielen wird der Spieler mit Punkten belohnt, umso gewaltsamer er seinen Gegner umgebracht hat.
Präsentation von Gewalt als etwas „Gutes“
Besonders in Cartoons wird Gewalt als reversibel dargestellt. Die Figuren springen fröhlich weiter nachdem sie ihren Gegner flachgedrückt haben. Der Gegner trägt keine Verletzungen oder stirbt durch den Gewaltakt.
Über 50% der aggressiven Episoden im Fernsehprogramm zeigen keine Verletzungen oder Leiden. Auch hier gilt, dass die Auswirkungen von Mediengewalt auf den Menschen stärker sind, wenn keine oder falsche Folgen von Gewalt dargestellt werden
http://www.youtube.com/watch?v=EJmtuCjrO1w
Gewalt als gerechtfertigte Strafe
Gewalttaten im Fernsehen werden oft als verdiente Strafe für den Gegner, dem „Bösen“ dargestellt. Gewalt wird aus einem guten Grund ausgeführt und als gerechte Vergeltungsmaßnahme dargestellt. In 44% der aggressiven Episoden ist dies der Fall.
Darstellung der Gewalttäter als Idole
Angreifer werden in Filmen oder Computerspielen oft als mächtig, stark und bewundernswert dargestellt und gehen meist als Gewinner aus der Situation heraus. Dies führt dazu, dass die Wahrscheinlichkeit der Nachahmung des Zuschauers steigt.
Unfähigkeit sich von Mediengewalt zu distanzieren
Filme und Computerspiele werden immer realistischer in 3D-Qualität dargestellt, wodurch die Unterscheidung zwischen Medium und Realität immer schwieriger wird.
Diese Aspekte addieren sich auf und bekräftigen sich gegenseitig.
Natürlich wirken diese Bedingungen nicht auf jeden Menschen auf die gleiche Weise. Denn nicht jeder der Gewalt sieht wird dadurch auch aggressiver auch wenn alle obengenannten Bedingungen gegeben wären.
(vgl. Krahé 2001, S. 96ff)

5. Mediengewalt – individuelle Unterschiede

Zum einen spielt das Geschlecht eine wichtige Rolle, wobei männliche eher anfällig sind als weibliche zum anderen das Alter. Wie bereits in der Langzeitstudie von Huesmann gezeigt wurde gibt es im Alter zwischen 8 und 12 Jahren eine sensible Phase bei Kindern, in der Mediengewalt einen besonders starken Effekt haben kann. Mit zunehmendem Alter und wachsender kognitiven Reife lässt diese Wirkung sehr stark nach.
Die kognitive Reife ist ein weiteres Kriterium, welche die Auswirkung von Mediengewalt auf aggressives Verhalten senkt. Umso stärker die kognitive Entwicklung, desto eher kann sich die Person von der gezeigten Gewalt distanzieren. Distanzierung und Fokussierung auf die Realität lässt die Wirkung von Mediengewalt gegen null sinken.
Neben der kognitiven Reife spielt das soziale Umfeld eine tragende Rolle. Herrscht Gewalt in der Familie oder im näheren Umfeld (Freunden, Peers) wirken sich die Effekte von Mediengewalt stärker auf die Person aus.
Zuletzt spielt das Aggressionspotential eine wichtige Rolle bei der Wirkung von Mediengewalt. Bushman fand in seiner Studie heraus, dass Menschen mit hohem Aggressionspotential nicht nur gewalthaltige Medien eher präferieren, sondern die gezeigte Gewalt auch eine stärkere Wirkung auf sie haben. (vgl. Krahé 2001, S. 98f)
Dadurch entsteht ein Teufelskreis:



6. Psychologische Effekte von Mediengewalt auf Aggression


Abbildung 3: Psychologische Effekte von Mediengewalt (Krahé 2001, S. 109)
Erhöhte Erregung: Wer schon frustriert ist, reagiert aggressiver als im ausgeglichenen Zustand
Priming: erleichterte Zugänglichkeit kann zu falschen Interpretationen von sozialen Informationen führen
Erlernen neuer Reaktionsmuster: Nachahmung, Kurzzeitfolgen; Lernen am Modell (Bandura) Beispiel: 15-Jähriger tötet Tante mit Axt auf gleiche Weise wie im Film gezeigt wurde
Enthemmung: Gewöhnung an Gewalthandlungen, Verharmlosung, Fehlen von negativen Folgen (Schmerz, Verletzungen)
Desensibilisierung gegenüber Opfern: Gewalt wird oft als gerechtfertigt dargestellt
Veränderte Sicht auf Realität: Welt wird zunehmend als gefährlicher Ort angesehen => löst Angst aus; Verbreitung von Kriminalität wird überschätzt; Forderung nach höhere Strafmaßnahmen.

7. Mediengewalt und aggressive Skripte

Durch die Beobachtung von Gewalt beziehungsweise der Ausübung von Gewalthandlungen in Computerspielen bildet der Mensch aggressive Skripte aus, die durch zunehmenden Konsum von Mediengewalt häufiger aktiviert werden und somit zugänglicher werden. Dies wirkt sich auf sein Verhalten und seine Interpretationen seines sozialen Umfeldes aus. Die Aktivierung eines Punktes im Netzwerk aktiviert die umliegenden Punkte. Somit entsteht ein Netzwerk von aggressionsauslösenden Gedanken und Gefühlen. Die Erfahrungen, die der Mensch dabei macht spielen hier eine wichtige Schlüsselrolle, denn diese sind die Verbindung zwischen Realität und Fiktion. Beobachtet ein Kind beispielsweise wie ein Kind im Fernseher mit Gewalt ein Spielzeug eines anderen Kindes ohne negative Konsequenzen erobert und ahmt dies in der Realität nach, wird nun aber bestraft, lernt es sich in der Realität richtig zu Verhalten und speichert dies richtig in sein Skript ab. (vgl. Krahé 2001, S. 112)



8. Präventive Maßnahmen

 Kritische Betrachtung
 Medieninitiative: Aufzeigen von Folgen
 Vermittlung von Medienkompetenzen
 Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität
 Kindergerechte Sendungen






Literaturverzeichnis
Krahé, Barbara (2001): Media violence and aggression. In: Krahé Barbara: The social psychology of aggression. Psychology Press, Hove
Selg, Herbert (2003): Mediengewalt und ihre Auswirkungen auf Kinder. Stellungnahme zu einer alten Streitfrage und zu angeblich kontroversen Befunden. Reinhardt-Verlag
Internetquellen:
Medienpädagogischer Forschungsverband: KIM-Studie 2008. URL: http://www.mpfs.de/index.php?id=133 [Datum: 03.01.2011]
Portal zur Mediengewalt : www.mediengewalt.de
Video Rugby: http://www.youtube.com/watch?v=KdiEcSdIqbs&feature=related
Video Itchy & Scratchy: http://www.youtube.com/watch?v=EJmtuCjrO1w

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