1. Einführung
Psychoaktive Drogen gibt es viele. Es gibt sie in verschiedenen Ausführungen, legal, illegal, flüssig, in Form von Tabletten, in Form von Pflanzen… die Liste scheint nicht aufzuhören.
Doch was sind überhaupt psychoaktive Drogen? Wie der Name schon impliziert, enthalten solche Drogen Stoffe, die „auf den Geist“ wirken. Praktisch bedeutet dies, dass psychoaktive Stoffe das Verhalten, die Stimmung und die Wahrnehmung des Konsumenten verändern können.
Fast jede der bekanntesten Drogen zählt also zu dieser Klasse, denn wer kennt sie nicht, die Wirkung, die zum Beispiel Alkohol entfaltet, oder die Bilder von LSD-Konsumenten vor allem aus den 1960ern und ´70ern – oder auch Bilder von Heroinabhängigen, die in Bahnhofsklos liegen und nichts mehr spüren.
Mit dem Drogenmilieu in Zusammenhang steht oft starke Kriminalität, nicht zuletzt weil fast alle psychoaktiven Drogen illegal sind, aber auch aus rein wirtschaftlichen Gründen der Konsumenten. Beschaffungskriminalität ist hier ein Wort, welches oft in diesem Zusammenhang fällt, oder auch brutale Kriege zwischen verfeindeten Drogengangs.
Aggression scheint also ein fast schon natürlicher Begleiter des Drogenkonsums. Doch welcher Bereich in der experimentellen Forschung noch kaum ergründet ist, ist der direkte Zusammenhang zwischen dem Drogenkonsum und Aggression. Damit sind keinesfalls Aggressionen aus wirtschaftlichen oder aus sozialen Gründen gemeint, sondern allein die Wirkung der Droge im Gehirn und die Frage, ob die Droge an sich aggressionsfördernd wirkt. Im folgenden Bericht werde ich zuerst die verschiedenen psychoaktiven Drogen klassifizieren, die traditionellen Annahmen über deren aggressive Wirkung darstellen und diese schließlich mit neuen experimentellen Befunden vergleichen.
2. Klassifikation verschiedener psychoaktiver
Drogen
Psychoaktive Drogen werden in verschiedene Kategorien eingeteilt, die zum Verständnis der Funktion und Wirkungsweise der Droge wichtig sind. Die verschiedenen Kategorien sind:
Aufputschmittel (stimulants)
Sedativa (depressants)
Opiate
Halluzinogene
Marihuana und Haschisch
Im Folgenden werde ich auf jede der verschiedenen Klassen kurz eingehen und Beispiele nennen.
2.1 Aufputschmittel
Aufputschmittel erregen das zentrale Nervensystem (ZNS) und erhöhen damit das sogenannte „arousal“, die generelle Erregung des Körpers. Daraus folgt eine erhöhte Wachheit und euphorische Zustände werden ausgelöst. Gleichzeitig wird die Müdigkeit erniedrigt. Verbreitete Drogen sind vor allem Koffein, Nikotin, Kokain und Amphetamine.
2.2 Sedativa
Sedativa sind weit verbreitete, meist chemische Medikamente und Drogen, die das ZNS dämpfen. Meist werden sie verschreiben, um Angstattacken, Schlafstörungen oder Nervosität zu bekämpfen, es handelt sich also um Beruhigungs- und Schlafmittel.
Bekannte Sedativa sind zum Beispiel Alkohol, Barbiturate (Schlafmittel), Antihistaminika (Antiallergikum) und Benzodiazepine (angstlösend, schlaffördernd).
2.3 Opiate
Bei Opiaten handelt es sich um natürliche oder synthetische Drogen, die analgetische Wirkungen haben und beim Konsumenten eine Art Euphorie auslösen. Des Weiteren wirken sie stark schmerzlindernd, hierfür werden sie auch im klinischen Bereich in Extremfällen angewendet.
Beispiele für Opiate sind Morphin, Kodein und, als das bekannteste, Heroin.
2.4 Halluzinogene
Halluzinogene verursachen Störungen der Wahrnehmung, dem Denken und der Stimmung. Oftmals wird auch von Veränderungen der Zeit- und Raumwahrnehmung berichtet sowie von einer erhöhten Sensibilität für Geräusche und andere Sinneswahrnehmungen.
Typische Halluzinogene sind Lysergsäurediethylamid (LSD), Phencyclidin (PCP), Psilocybin (in Pilzen enthalten), MDNA (auch als Ecstasy bekannt) und Mescalin.
2.5 Marihuana und Haschisch
Marihuana und Haschisch werden rauchend konsumiert. Der Wirkstoff Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) ist im Harz der Pflanze enthalten. Bei Marihuana handelt es sich um die getrockneten Blüten der weiblichen Cannabis-Pflanze, während Haschisch aus dem gepressten Harz der Pflanze gewonnen wird.
Die Effekte der Droge variieren subjektiv verschieden. Allgemein werden von erweiterten Geruchssinn, Geschmack und Tastsinnen berichtet, sowie von veränderter Zeitwahrnehmung. Die Hauptwirkung äußert sich allerdings in einem Zufriedenheitsgefühl und Entspannung.
2. Vergleich traditioneller empirischer
Auffassungen mit empirischen Befunden
Im Folgenden werde ich zu jeder Klasse von Drogen die traditionellen, herkömmlichen empirischen Auffassungen, inwiefern die jeweilige Droge Aggressionen auslösen kann, darstellen und diese mit neueren experimentellen Befunden vergleichen.
Die Bedeutung von Drogeneinnahme auf aggressives Verhalten ging in den letzten Jahren unter dem großen Feld der Aggressionsforschung völlig unter. Psychologen interessierten sich häufig für andere Ursachen von Aggression oder waren in dem Glauben, aggressives Verhalten rühre nicht von der Droge an sich, sondern von den Umständen, die der Drogenkonsum mit sich bringt.
Das ist nicht ganz falsch. Drogensüchtige begeben sich teilweise in gefährliches, kriminelles Milieu. Hinzu kommen häufig wachsende finanzielle Probleme so wie Verzweiflung im Hinblick auf die unausweichlich scheinende Sucht. Diese Dinge machen Aggression sehr wahrscheinlich, doch sind sie lediglich Probleme, die aus dem Umfeld der Droge heraus entstehen.
Kaum wissenschaftlich untersucht ist stattdessen die direkte Wirkung der Droge auf das Gehirn und auf aggressives Verhalten. Dafür gibt es leider immer noch wenig experimentelle Evidenz, und diese ist zudem noch methodisch fragwürdig.
Eine oft genutzte traditionelle Herangehensweise an dieses Problem sind einfache Korrelationen zwischen aggressivem Handeln und Drogenkonsum auf Basis von Selbstberichten. Des Weiteren werden oft Telefoninterviews durchgeführt oder Drogenabhängige für eine Weile beobachtet. All diese Untersuchungen sind alles andere als sicher, da sie oft auf einfachen Selbstberichten beruhen. Auch kann man mithilfe dieser Methoden nicht eindeutig sagen, ob die Droge zum Zeitpunkt der Aggression tatsächlich noch wirkt.
Eine neuere Studie zum Thema Drogen-Aggression soll diese Probleme umgehen und valide Messungen erlauben: Der Proband muss hier ein Reaktionszeit-Experiment gegen einen fiktiven „Gegner“ führen, den der Proband allerdings für echt hält. Die Versuchsperson bekommt die Möglichkeit, gegen den Gegner aggressiv vorzugehen, indem sie vor jedem Durchlauf eine bestimmte Intensität von Elektroschocks einstellen kann, die der Gegner nach dem Durchlauf erhält, falls er verliert. Der Proband sieht auch, welche Stärke der Gegner für ihn eingestellt hat bzw. welchen Schock er erhält, falls er verliert. Der Schnellere bekommt also den eingestellten Elektroschock des anderen- je höher die Schocks des Gegners, desto mehr wird der Proband provoziert.
Die Intensität des Schocks, den der Proband abgibt, stellt in diesem Experiment die Stärke der Aggression dar.
Dieses im Vergleich zu den herkömmlichen Methoden sehr valide Experiment soll die bisherigen Annahmen über den Zusammenhang zwischen Drogen und Aggression auf den Prüfstand stellen.
3.1 Aufputschmittel
Traditionelle Annahmen: Aufgrund von dürftiger Forschung wurde bisher angenommen, dass Aufputschmittel Aggressionen fördern. Dies beruht nicht zuletzt auf der Annahme, dass diese Drogen eine generell erhöhte Erregung verursachen, die dann auch zu erhöhter Aktivität und zu einer größeren Wahrscheinlichkeit für aggressives Verhalten führen sollen.
Auch existieren klinische Berichte, die von aggressiven Verhalten von Süchtigen sprechen. Nach einer Studie, in der 13 Mörder untersucht wurden, soll auch hier der Mord mit dem Drogenkonsum in Verbindung stehen. Allerdings waren diese Probanden wahrscheinlich Mehrfach-Konsumenten, nahmen also mehrere Drogen.
Insgesamt sind die Meinungen ziemlich unterschiedlich, manche behaupten auch, Aufputschmittel fördern Aggression nur bei chronischem Konsum oder bei bereits vorliegender Psychose.
Bei Kokain sind sich die Stimmen allerdings etwas stärker einig: Hier soll es keine Verbindung zu aggressivem Verhalten geben.
Experimentelle Befunde: Beim Experiment mit Aufputschmitteln erhielten die Probanden 3 verschiedene Dosen eines Amphetamins, doch wurde kein aggressives Verhalten beim Reaktionszeitversuch festgestellt. Dies lässt an der These, dass erhöhte Erregung mehr Aggression bedeutet, zweifeln
Ein separates Experiment wurde auch mit Kokain durchgeführt, in denen die Probanden 2 verschiedene Dosen bekam (schwach/stark) oder ein Placebo.
Hier zeigte sich, dass Probanden mit der hohen Dosis auf allen Provokationsleveln aggressiver handelten als Placebo-Probanden.
3.2 Sedativa
Traditionelle Annahmen: Traditionell wird Alkohol als potentieller Initiator von Aggression gesehen. Bei Medikamenten ist dies allerdings anders. Hier geht man davon aus, dass Aggressionen eher reduziert werden, da diese Medikamente gemeinhin als Beruhigungsmittel benutzt werden. Dennoch gibt es einige Berichte über antisoziales Verhalten von Benzodiazepin-Patienten. Derlei Befunde werden allerdings häufig von pharmakologischen Unternehmen heruntergespielt.
Experimentelle Befunde: Bei Alkohol ergab das Reaktionszeitexperiment klare Ergebnisse: Probanden reagierten aggressiver unter Alkoholeinfluss als ohne.
Das Experiment wurde allerdings auch mit Benzodiazepinen durchgeführt. Hier erhielten Probanden eine von zwei unterschiedlichen Dosen (10mg/5mg) oder ein Placebo. Hier ergab sich Erstaunliches: 10mg-Probanden verhielten generell aggressiver, und auch 5mg-Probanden waren unter starker Provokation deutlich aggressiver als Placebo-Probanden.
3.3 Opiate
Traditionelle Annahmen: Auch bei Opiaten wird traditionell eher davon ausgegangen, dass diese die Aggression eher senken als steigern, da sie narkotische und entspannende Effekte nach sich ziehen, die den Konsumenten ruhig stellt. Es wird in diesem Zusammenhang eher vermutet, dass Aggressionen aus dem Umfeld der Droge entstehen. Die Beweise hierzu basierten aber auf einfachen Selbstberichten, wohingegen kontrolliertere Studien mit Fragebögen Indizien dafür gefunden haben, dass Opiate eventuell Aggressionen vereinfachen könnten.
Experimentelle Befunde: Versuchsergebnisse sprechen eine ganz andere Sprache als die traditionellen Befunde vermuten lassen. Die Probanden bekamen hier entweder 45 mg Morphin (ein typisches Opiat) oder ein Placebo. Es zeigte sich nicht nur, dass die Morphin-Probanden bei allen Provokationsleveln aggressiver reagierte als Placebo-Probanden, sondern auch, dass sie zudem den Gegner schon attackierten, bevor sie überhaupt die Information bekamen, welches Schocklevel dieser ausgewählt hatte (also wie stark er provozierte).
3.4 Halluzinogene
Traditionelle Annahmen: Auch von Halluzinogenen nimmt man an, dass sie nicht aggressionsfördernd sind. Sie sollen eher psychotische Reaktionen und Selbstmord auslösen und die häufigste „tödliche“ Folge wäre eher Unfalltod als Mord oder ähnliches. Aggressionen sollen eher als Folge einer unkontrollierten Panikreaktion und im Kontext eines „bad trip“ entstehen als durch die Droge selbst.
Bei dem Halluzinogen PCP gibt es allerdings mehr Uneinigkeit, doch auch wieder stellt sich hier das Problem, dass Probanden Mischkonsumenten waren und alle Versuche auf Selbstberichten beruhten.
Experimentelle Befunde: Zum Thema Halluzinogene gibt es keine experimentellen Befunde mithilfe des Reaktionszeitparadigmas.
3.5 Marihuana und Haschisch
Traditionelle Annahmen: Bei Marihuana gab es zu Beginn große Meinungsverschiedenheiten. Früher hatte die Droge das Image als „killer weed“, das eine große Bandbreite aggressiven Verhaltens hervorrufen sollte.
Diese Ansichten änderten sich aber in den 1960ern und 70ern, ab denen man Marihuana eher mit Ruhe, Passivität und Entspannung assoziierte. Auch in der Literatur findet man vornehmlich diese Meinung.
Experimentelle Methoden: Die Probanden erhielten hier eine von 3 verschiedenen Dosen Marihuana (leicht/mittel/stark). Das Ergebnis war verblüffend: Die Probanden mit der starken Dosis verhielten sich sogar weniger aggressiv als die mit der mittleren und leichten Dosis. Tendentiell verhielten sich „starke“ Probanden eher unaggressiv, was die Frage aufwirft, ob Marihuana Aggressionen vielleicht sogar senkt.
3. Zusammenfassung der Ergebnisse
Die experimentellen Befunde haben die traditionellen Annahmen in einigen Thesen bestätigt, andere konnten sie jedoch definitiv widerlegen.
Von der ersten Droge, Aufputschmittel, wurde angenommen, dass sie die Aggression fördert – das wurde experimentell aber nur für Kokain bestätigt und konnte bei Amphetaminen klar widerlegt werden.
Ebenso bestätigt wurde die Annahme, dass Alkohol Aggressionen fördere. Die Vermutung, Sedativa, also Medikamente, würden aggressives Verhalten senken, hat sich jedoch bei Benzodiazepinen als falsch erwiesen.
Auch bei Opiaten sollte man über den Trugschluss „Dämpfende Wirkung aufs ZNS dämpft auch Aggression“ nachdenken, nachdem dort eindeutig erhöhte Aggression nachgewiesen wurde.
Was jedoch wieder vollkommen mit den traditionellen Annahmen übereinstimmt, ist die Erwartung, dass Marihuana keine Aggressionen fördert- die Forschung hat ja sogar ergeben, dass es möglich wäre, dass die Droge Aggressionen senkt!
Einzig Halluzinogene wurden experimentell noch nicht untersucht. Hier bleiben nur die traditionellen Vermutungen bestehen, wonach diese die Aggression nicht fördern.
Um den Überblick zu bewahren, sollen hier die einzelnen Drogen übersichtlich in einer Tabelle dargestellt werden:
Aggressive Drogen | Nicht-aggressive Drogen |
Kokain | Amphetamine |
Alkohol | Marihuana |
Sedativa (Benzodiazepine) |
|
Opiate |
|
4. Ausblick
Die Frage ist nun, was uns dieses neue Wissen über die Effekte auf Aggressionen durch Drogen nützt. Tatsächlich gibt es einige wichtige Folgerungen, die man daraus ziehen kann und teilweise auch muss.
Zum Einen ist es wichtig, noch mehr experimentelle Forschung anzuregen und einzuleiten, da nur diese genaue Beweise für den direkten Zusammenhang zwischen beiden Faktoren liefern kann.
Auch sind bis jetzt einige Bereiche unerforscht, wie zum Beispiel der Effekt von Halluzinogenen oder die Vermutung, Marihuana könnte Aggressionen senken.
Des Weiteren muss man nun mit der Tatsache umgehen, dass psychoaktive Drogen ernste interpersonelle Konsequenzen nach sich ziehen können. Dies muss akzeptiert und auch in der Öffentlichkeit publik gemacht werden.
Am Wichtigsten scheint aber die Entdeckung, dass Benzodiazepine aggressionsfördernd wirken. Dies wird wohl große Auswirkungen auf den Umgang mit diesem Medikament haben, da nun gewiss ist, dass psychopharmakologische Faktoren eine Rolle bei der Erleichterung aggressiven Verhaltens spielen.
Ist es folglich überhaupt moralisch vertretbar, ein solches Medikament zu verschreiben?
Diese Frage ist wohl die dringlichste, die beantwortet werden muss. Denn wer würde wohl gerne Medikamente einnehmen, von denen er weiß, dass sie seine persönlichen Handlungen in entscheidendem Maße verändern? Wie die Pharma-Industrie in Zukunft mit solchen Problemen umgehen wird, wird sich zeigen.
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