Eine von Bettencourt und Miller im Jahre 1996 veröffentlichte Metaanalyse befasst sich mit
Geschlechtsunterschieden bzgl. Aggression und dem Effekt der Provokation. Die
Ergebnisse der 64 Studien umfassenden Metaanalyse sollen hier zu Beginn genauer beleuchtet
werden, bevor anschließend auf die möglichen Ursachen der Geschlechterunterschiede bzgl.
Aggression näher eingegangen wird.
Im Kontext des Themas Aggression, Geschlechter & deren Unterschiede, Aggressivem
Verhalten & Provokation können folgende beispielhafte Fragen von Interesse formulieren
werden, die durch die vorliegende Ausarbeitung beantwortet werden sollen:
· Was für einen Einfluss hat Provokation auf das aggressive Verhalten beider
Geschlechter?
· Beeinflusst Aggression der Geschlechterunterschiede bzgl. aggressiven Verhaltens?
· Macht die Art der Provokation einen Unterschied?
· Bewerten Frauen und Männer die ihnen entgegengebrachte Provokation subjektiv
unterschiedlich?
· Gibt es Geschlechterunterschiede in den Arten & Ausdrucksformen der Aggression
die jeweils von Männern und Frauen gezeigt werden?
· Lassen sich Unterschiede verzeichnen wenn man das Geschlecht des
Aggressionsempfängers betrachtet? Spielt es eine Rolle ob es sich dabei um ein
weibliches oder ein männliches Ziel handelt? Was ist bei der Konstellation zu
beobachten wenn Aggressionssender & -empfänger vom gleichen Geschlecht sind?
· Macht es einen Unterschied welches Geschlecht eine weitere anwesende Person hat?
(Da es sich beim besprochenen vorliegenden Material um eine Metaanalyse handelt,
können in diesem Zusammenhang ausschließlich Situationen innerhalb eines
experimentellen Rahmens betrachtet werden. In solchen Fällen handelt es sich bei den
anwesenden männlichen oder weiblichen Personen um die beaufsichtigenden
Versuchsleiter.)
Vorab lassen sich bereits folgende Annahmen über den Zusammenhag Geschlecht &
Aggression formulieren:
Es wird angenommen dass Aggression generell von sowohl den Geschlechterunterschieden
als auch von der Provokation die den Versuchspersonen in den Studien entgegengebracht
worden ist abhängig ist.
Metaanalyse Ergebnisse – beide Geschlechter:
Als Phänomene die beide Geschlechter betreffen konnten folgende Ergebnisse festgehalten
werden
· Wie bereits vermutet bestätigte sich einer der vorab angenommenen Haupteffekte.
Provozierte Probanten beider Geschlechter sind aggressiver als nicht Provozierte.
· Die Geschlechtsunterschiede bzgl. des aggressiven Verhaltens sind unter neutralen
Bedingungen ausgeprägter.
· Provokation minimiert die Geschlechterunterschiede bzgl. Aggression
· Der Grad/das Ausmaß der Geschlechterunterschiede ist abhängig von der Art der
Provokation.
· Bei der Analyse verschiedener Studien innerhalb der hier vorgestellten Metaanalyse
durch männliche & weibliche unabhängige Bewerter zeigt sich, dass diese die
Versuchsbedingungen & -situationen unterschiedlich provozierend einschätzten.
· Unter Provokationsbedingungen treten Geschlechtsunterschiede bei physischer
Aggressivität signifikanter zu Tage als bei verbaler Aggressivität, bei der die
Geschlechtsunterschiede nicht so merklich ausfallen
Metaanalyse Ergebnisse – Männer:
Die Ergebnisse der Metaanalyse, die sich explizit auf das männliche Geschlecht beziehen
fallen wie folgt aus:
· Männer sind generell aggressiver als Frauen.
· Männer verhalten sich bei Provokation aggressiver als unter neutralen Bedingungen
Situationsbewertung
Männer bewerten Situationen die entweder doppeldeutig oder frei von offensichtlicher
Provokation sind schneller und häufiger als provozierend. Als Ursache dafür kommen sowohl
Geschlechterrollenaspekte als auch biologische Faktoren in Frage. Unabhängig davon kann
darüber hinaus auch angenommen werden, dass solche doppeldeutigen und uneindeutigen
Provokationssituationen eher den Situationen des Alltags zuzusprechen sind mit denen wir
täglich konfrontiert sind. Daraus lässt sich im Gegenzug ableiten, dass Männer im Alltag öfter
aggressives Verhalten zeigen da sie eine höhere Anzahl an Situationen als provokativ
interpretieren.
Bei einem Angriff auf ihren Intellekt reagieren Männer mit einem relativ hohen Level an
Aggression (siehe dazu auch die nähere Ausführung unter dem Oberpunkt der Frauen).
Ausdrucksformen
In den diversen Versuchsbedingungen zeigten sowohl unprovozierte als auch provozierte
Männer ein aggressiveres Verhalten wenn die Ausdrucksform aus physischer Aggression
(manuelle Elektroschocks oder –Lärmgabe) bestand. Wurde im Rahmen der
Versuchsmethodik allerdings aggressives Verhalten als Reaktion explizit „verlangt“ so traten
nur noch geringfügigere Geschlechtsunterschiede zu Tage.
Geschlecht des Aggressionsempfängers:
Es konnte beobachtet werden, dass Männer unter neutralen wie unter
Provokationsbedingungen dazu neigen sich gegenüber ihrem eigenen Geschlecht aggressiver
zu verhalten, was möglicherweise von ihren sozialen Geschlechterrollen und zivilen Normen
herrührt welche es ihnen untersagt gegenüber Frauen Aggressivität zu zeigen. Vergleicht man
das männliche Verhalten unter dem Lichte dieses Aspekts lässt sich ein signifikanter
Geschlechterunterschied dahingehend ausmachen, dass sich Frauen unter der Abwesenheit
von Provokation gegenüber ihrem eigenen Geschlecht nicht aggressiv verhalten. Dieser
Geschlechterunterschied minimiert sich jedoch sobald Frauen provoziert werden, dann richten
sie ihre Aggression ebenso gegen ihr eigenes Geschlecht.
Geschlecht der anwesenden Personen:
Bei den männlichen Versuchsteilnehmern machte es keinen Unterschied ob der Versuchsleiter
dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugehörig war. Die gezeigte Aggression wurde
nicht vom Geschlecht der anwesenden Person beeinflusst.
Metaanalyse Ergebnisse – Frauen:
Die Ergebnisse der Metaanalyse, die sich explizit auf das weibliche Geschlecht beziehen
fallen wie folgt aus:
· Frauen verhalten sich aggressiver bei Provokation im Vergleich zu neutralen
Bedingungen.
· Obwohl Männer unter neutralen Bedingungen aggressiver sind als Frauen übertrifft
der Effekt der Provokation bei Frauen den, den die Provokation bei Männern hat.
Art der Provokation:
Frauen bleiben im Gegensatz zu Männern durch eine negative Intelligenzrückmeldung
unprovoziert.
Bspw. waren große Geschlechtsunterschiede bei Studien zu beobachten die sich als
Provokationsart dem Mittel einer negativen Intelligenzrückmeldung bedienten. Van
Goozen (1994) fand heraus, dass weibliche Versuchsteilnehmer, im Gegensatz zu
männlichen, relativ gelassen & ohne Provokation auf eine gefälschte Rückmeldung
reagierten, die sich in negativer Weise auf ihre Intelligenz bezog. Stattdessen drückten
sie in einer solchen Situation eher Enttäuschung & Traurigkeit aus, was vermutlich mit
ihrer Geschlechterrolle zusammen hängt (nähere Erläuterung zu den Geschlechterrollen
siehe weiter unten).
Ähnliches konnten Pytkowicz, Wagner & Sarason (1967) feststellen. Mit einer
ähnlichen Versuchsmethodik fanden sie heraus, dass weibliche Versuchsteilnehmer
nach der negativen Rückmeldung nicht mehr Feindlichkeit verspürten als nach einer
positiven Intelligenzrückmeldung. Sie erklärten dies mit der geringeren Erwartung von
Frauen über ein erfolgreiches Abschneiden bei Aufgaben wie sie in Intelligenztests
verwendet werden, was dann durch die negative Rückmeldung Bestätigung findet. Eine
weitere Erklärungsmöglichkeit ähnelt die von Van Goozen nach der Frauen sich als
Ergebnis der negativen Rückmeldung eher traurig und beschämt fühlen und keinen
Anlass dazu sehen die Autoritätsperson in Form des Versuchsleiters anzugreifen.
Frauen werden dagegen durch physische Angriffe oder Beleidigungen viel aggressiver.
Situationsbewertung:
Im Rahmen der hier vorgestellten Metaanalyse stuften weibliche unabhängige Bewerter die
unterschiedlichen Versuchsbedingungen & -situationen subjektiv generell als weniger
provozierend ein. Sie identifizierten jedoch eine größere Anzahl an Situationen als solche, bei
der die Gefahr einer Vergeltung bestehen könnte und unterscheiden sich in diesem vom
anderen Geschlecht. Je mehr Angst die Frauen in den Versuchsbedingungen vor einem
Vergeltungsschlag hatten, desto umfangreicher kamen die zuvor schon erwähnten
eigentlichen Geschlechtsunterschiede zum tragen. Dies ist besonders interessant, da die
experimentellen Bedingungen für Männer wie für Frauen objektiv absolut identisch waren
und die experimentellen Paradigmen darüber hinaus keinen bis nur wenig Grund zur
Annahme gaben, dass die Aggressionsempfänger die Möglichkeit eines Vergeltungsschlages
hätten. Bei der Bewertung des negativen Affektes einer Situation hingegen waren keine
Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu verzeichnen.
Ausdrucksformen:
Viel mehr als auf physische Aggression hat bei Frauen Provokation einen Einfluss auf die
verbale Aggression, welche vom weiblichen Geschlecht eher gezeigt wird. Daraus resultieren
hinsichtlich dieser Aggressionsform weniger große Geschlechterunterschiede, auch nicht
unter neutralen Bedingungen. Wenn die Versuchsaufbauten das Zeigen verbaler Aggression
eher erlaubten, dann konnte Provokation bei Frauen einen größeren Effekt erzielen, als wenn
innerhalb des Versuchsaufbaus lediglich physischer Aggression als Ausdrucksform
vorgesehen war.
Adoleszente Mädchen und Frauen zeigen eher indirekte soziale Aggression in Form von
Lästern, Ausgrenzen oder jemanden ignorieren bzw. sich weigern mit der betroffenen Person
zu sprechen.
Darüber hinaus nehmen Frauen eher alternative Handlungsmethoden als Reaktion auf
Provokation wahr um nicht zwangsläufig aggressiv zu reagieren. Yinon, Jaffe & Feshbach
untersuchten 1945 den Gebrauch von nicht aggressiven Verhaltensalternativen wenn es dem
Versuchsteilnehmer offen gelassen wird als Rückmeldung an andere Personen zwischen
einem roten Lichtsignal oder der Verabreichung eines Elektroschocks zu wählen. Nur 2 von
20 Männern (10%) aber 5 von 14 Frauen (36%) bezogen das rote Signallicht in Ihre
Rückmeldungen mit ein.
Geschlecht des Aggressionsempfängers:
Frauen neigen unter neutralen Bedingungen weniger als Männer dazu gegenüber ihrem
eigenen Geschlecht aggressives Verhalten an den Tag zu legen. Wie oben bereits erwähnt
verschwindet dieser Geschlechtsunterschied unter Provokationsbedingungen was zur Folge
hat, dass sich Frauen gegenüber gleichgeschlechtlichen Zielen ebenso aggressiv verhalten wie
Männer.
Geschlecht der anwesenden Personen:
Handelte es sich bei dem Versuchsleiter um eine Frau, so war bei weiblichen
Versuchsteilnehmern ein wesentlich größerer Unterschied im aggressiven Verhalten zwischen
neutralen und Provokationsbedingungen zu beobachten, als unter der Anwesenheit eines
männlichen Versuchsteilnehmers. Dies ist vermutlich auch ein Effekt der sozialen
Geschlechterrolle der Frau der sie dazu veranlasst aggressive Verhaltensweisen in
Anwesenheit eines Mannes mehr zu zügeln bzw. zu unterbinden.
Metaanalyse – Zusammenfassung
Nach dem oben erwähnten lässt sich als Ergebnis der Metaanalyse folgendes
zusammenfassen:
Männer sind generell aggressiver als Frauen.
Der Effekt der durch Provokation verursacht wird reduziert die Geschlechtsunterschiede
bezüglich des gezeigten aggressiven Verhaltens außerordentlich.
In dieser Überlegung sollte außerdem berücksichtigt werden, dass in allen betrachteten
Studien Provokationsstufen zum Einsatz kamen, die von Unabhängigen als „moderat“
bewertet wurden. Somit ist davon auszugehen, dass sich unter wirklich hohen Formen von
Provokationsintensitäten vermutlich keine Unterschiede mehr zwischen den Geschlechtern zu
verzeichnen sind.
Die Art der Provokation besitzt bezüglich des gezeigten Aggressionsausmaßes sowie den
Geschlechterunterschieden bzgl. Aggression einen Vorhersagecharakter.
Männer & Frauen weisen eine unterschiedliche Wahrnehmung von Provokationsintensitäten
auf die mit den Geschlechterunterschieden bzgl. aggressiven Verhaltens assoziiert werden
kann.
Ursachen für Unterschiede: Biologische Gründe
Die männlichen Geschlechtshormone lassen sich unter dem Sammelbegriff „Androgene“
zusammenfassen, deren wichtigster Vertreter das Testosteron ist. Es wird in der
Nebennierenrinde und dem Hoden des Mannes gebildet und hat ein breites
Wirkungsspektrum. Hoden, Anhangsdrüsen, sekundäre Geschlechtsmerkmale, sexuelles
Verhalten und allgemeiner Stoffwechsel werden durch dieses Steroidhormon (Steroid das als
Hormon wirkt) beeinflusst. Auch die Nebenniere & Eierstöcke der Frau produzieren
Testosteron, welches allerdings im weiblichen Körper eine viel geringere Konzentration
aufweist. Eine Kastration, wie sie z.B. in einer der folgenden vorgestellten Studien
vorgenommen wurde, beeinträchtigt die Testosteron- & Spermienbildung.
Verhaltensforschung
Aus der Verhaltensforschung ist bekannt dass in den meisten Primatenarten die männlichen
Tiere aggressiver sind als weibliche. Diese höhere Aggressivität entwickelt sich schon vor der
Geburt durch die Wirkung der männlichen Geschlechtshormone. Belegen konnte dies z.B.
Kummer (1982) indem er weibliche Primaten schon vor der Geburt mit männlichen
Geschlechtshormone behandelte und beobachtete das diese später hoch aggressiv waren. Den
umgekehrten Effekt berichtete er bei im Alter von drei Monaten kastrierten Männchen, die
noch vor der Pubertät zehnmal aggressiver waren als normale Weibchen.
Seine Beobachtungen führten Kummer zu dem Ergebnis das Testosteron aggressives
Verhalten verursacht.
Aktuellere Forschungsergebnisse kommen zu den gleichen Schlussfolgerungen.
Giammanco und Kollegen (2005) untersuchte den Einfluss von Testostern auf das
Unterwerfungs- & Aggressionsverhalten von zwei oder mehr männlichen Ratten und Mäusen
die sich im selben Käfig aufhielten. Mit steigender neuronalen Androgenisierung stieg die
gegenseitige Tötungsrate. Weiter wird erwähnt dass Testosteron bei Affen in Zusammenhang
mit Aggression & Dominanz in Zusammenhang steht. Während der Paarungszeit erhöht sich
der Testosteronspiegel der Männchen und vermehrt aggressives Verhalten kann beobachtet
werden.
Testosteron & Verhalten beim Menschen
Testosteronrezeptoren befinden sich zum überwiegenden Teil in Neuronen des
Hypothalamus, wo sie in Östrogene umgewandelt werden die den Anstieg an Aggression
bedingen. Außerdem konnte ein Zusammenhang zwischen Serotonin und Aggression
dahingehend gezeigt werden, dass ein Serotoninmangel zu aggressiverem Verhalten führt (gilt
für Mensch & Tier). Auch das ADH Level in der Amygdala steigt durch Testosteron, was
einen Anstieg des Blutdrucks zur Folge hat.
Laut Giammanco & Kollegen (2005) wurden höhere Testosteronspiegel bei folgenden
Personengruppen festgestellt: Gewaltverbrecher, Soldaten mit antisozialem Verhalten,
Personen mit impulsiven Verhalten, Alkoholabhängige, Selbstmordgefährdete, Athleten die
Steroide einnahmen sowie Athleten während Wettkämpfen.
Video: Beispiel eines Patienten der durch eine Veränderung der Gehirnstruktur (Tumor der
den Hypothalamus beeinflusst hat) einen eklatanten Zuwachs in seinem aggressiven
Verhalten erfahren hat. (ab Minute 1:49)
http://www.youtube.com/watch?v=svP7-L2Zu3M
Ein angeborener Aggressivitätsunterschied bedeutet jedoch nicht, dass dieser nicht durch
Kultur, Geschlechterrollen und Lernen beeinflusst werden kann.
Lerntheorie:
Die Lerntheorie unterscheidet zwischen
![](https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgBxbAmKKrQj8XowAEdLP849OgqP4ge5Eu9uUMoCvAyH0TLOs0t5rxzLzoCtYnJNPmHglvDaV7Co3ORPwxRJvUZ3zlfY785YiCi-XAzJZLTatOKzvEAYkhaJiqPY96FfWs90av15AEzU94/s320/Bildschirmfoto+2011-02-26+um+23.46.05.png)
dem Erwerb von Verhaltensweisen die ein destruktives Potential bergen und denFaktoren die darüber entscheiden ob ein solches Verhalten auch ausgeführt wird. In
anderen Worten ausgedrückt: Nicht alles Gelernte wird auch in eine Handlung umgesetzt.
Aus der Perspektive der Lerntheorie zeichnet sich im Bereich der Aggression ein bedeutsamer spezifischer Unterschied zwischen den Geschlechtern ab.
Unter anderem zeigte Bandura (1979) dass Jungen beträchtlich mehr aggressive
Verhaltensweisen reproduzieren als Mädchen, besonders wenn die Aggression
eines Modells belohnt wird. Mädchen zeigen typischerweise weniger Aggression, da sie lernen dass sie nichtaggressiv sein sollen/dürfen; im Gegensatz zu Jungen die vermittelt bekommen, dass physische Aggression angebracht ist und sogar manchmal erstrebenswert.
Wird beiden Geschlechtern allerdings ein positiver Anreiz für das Zeigen aggressiven
Verhaltens geboten, so zeigen Mädchen annähernd gleich viele aggressive Handlungen wie
Jungen. (siehe dazu Abbildung 1)
Abb. 1. Jungen zeigen mehr aggressive Verhaltensweisen als Mädchen (nach Bandura, 1979).
Jenes Phänomen erklärt Bandura damit, dass Mädchen Aggression im gleichen Maße lernen,
somit ein ähnliches Aggressionspotential aufweisen, dieses aber im tatsächlichen Verhalten
nicht so häufig zeigen.
Soziale Geschlechterrollen:
Im Folgenden wird das Phänomen der Aggression aus der Perspektive der sozialen
Geschlechterrollen betrachtet. Die vielfältigen Unterschiede hinsichtlich der sich Männer und
Frauen unterscheiden werden als Folge einer nach Geschlechtsrollen differenzierten
Sozialisation gesehen. Je nach Kultur werden dabei verschiedene Normen vermittelt.
Solche Eindrücke verhelfen im weiteren Verlauf der Entwicklung dazu die Geschlechter
richtig zu bezeichnen und bilden eine Grundlage für die Stereotypenbildung. Laut Kohlberg
(1966) ist das der Ausgang für die Ausbildung der entsprechenden geschlechtsspezifischen
Verhaltensstile.
Erste geschlechtsbezogene Eindrücke hinsichtlich Aussehen, Verhalten, Aufgaben &
Vorlieben werden von kleinen Kindern schon gesammelt bevor sie Jungen & Mädchen bzw.
Männer & Frauen als solches benennen können.
Kuhn und Kollegen (1978) konnten belegen, dass bereits Kinder ab 2 Jahren bestimmte
Rollenzuweisungen vornehmen. In dem dazu durchgeführten Experiment wiesen die Kinder
den auf Bildern dargestellten Situationen geschlechtsspezifische Aussagen zu indem sie
zwischen einer weiblichen und einer männlichen Puppe wählten und diese der jeweiligen
Situation und Aussage zuordneten. (siehe Abbildung 2) Beispiel: Zur Abbildung einer
Küchenszene wurden sie gefragt welche Puppe wohl sage „ich helfe gerne der Mutter
kochen“.
Interessant war für die Forscher außerdem zu beobachten dass Zweijährige ausschließlich
Stereotype zu Erwachsenentätigkeit angaben wohingegen Gleichaltrige erst ab 3,5 Jahren
durch die „Stereotypbrille“ gesehen wurden.
Dies verdeutlicht dass die spezifischen Geschlechterrollen und die dazugehörigen
Verhaltensweisen bei Menschen schon in jungen Jahren verankert sind.
Abbildung 2. Stereotype Ansichten von Kindern (nach Bischof-Köhler, 2002)
Oberes Drittel: Aussagen die Mädchen über Mädchen und Jungen treffen
Unteres Drittel: Aussagen die Jungen über Mädchen und Jungen treffen
Mitte: Aussagen die Mädchen & Jungen über Mädchen & Jungen treffen
![](https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjua-244CPOF-bOuoMULuEausoK_6wPqQz8mzsXpZ6jBxr4QGFFmNwusH8vDLFj6bWgiUIEK5NNpyOewqVuvvhJ01HoiaqG3BaVpcsWxL5ESbEhuMK_B16oHmFk1rd0Zvr6oTUvpxBQMQQ/s320/Bildschirmfoto+2011-02-26+um+23.46.24.png)
![](https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjsALtAGmtP-SYAiQpNGxsOAkxH_xdtWd5AMZ-U1YICMbNbhuKaN7cySc7Y5fz2VxRJrUNreVU4ZcHMTip0LT3gKxQs3EjIrNBu9efz4gRclpyjEasfEDppCeFm1cq_0IV45S54NT6yW24/s320/Bildschirmfoto+2011-02-26+um+23.46.43.png)
Geschlechtsbezogene Normvorstellungen, finden sich kulturübergreifend. D’Andrade nahm
1967 eine Auswertung der „Human Realtion Area Files“ – eine Sammlung aller verfügbaren
Daten über 565 verschiedene Kulturen – vor und kam zu einer Aufstellung überwiegend
männlicher & weiblicher Tätigkeiten die kulturübergreifend als den jeweiligen Geschlechtern
zugehörend gesehen wird (siehe Abbildung 3).
Abb. 3. Männliche & weibliche Tätigkeiten (nach Bischof-Köhler, 2002)
Konsistent mit dieser Theorie berichteten auch Lightdale & Prentice (1994) über das
Phänomen der Deindividualisierung und Aggression. Deindividualisierung ist ein Zustand der
außerordentlichen Reduktion sozialer Identifizierbarkeit, oft direkt assoziiert mit Anonymität,
der ein Gefühl von Unzulänglichkeit erzeugt. Das Individuum fühlt sich namenlos und
unbeaufsichtigt, sogar wenn er/sie Teil einer großen Gruppe ist. Die Forscher versetzten
männliche und weibliche Versuchspersonen in einen solchen beschriebenen Zustand und
fanden heraus, dass das Gefühl der Deindividualisierung das Bewusstsein über die jeweiligen
Geschlechterrollen abschwächt was zur Folge hat, dass sich Männer und Frauen im gleichen
Maße aggressiv verhalten.
![](https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiOcDiDOfBROqcHTApsc_lzxPwywPDSTwCYWnFWduzu0BbnbVWZe5CIXusfUv6FWRqDDrHhrOgHPtDZEt6EHDa9SMOszZ3iK7zTvI6LiM0Dz4nxRFKtrIDy5D7tUoUTHKjRbHMRFTHnvzM/s320/Bildschirmfoto+2011-02-26+um+23.47.02.png)
Abb. 4 Vergleich von Situationen mit und ohne Geschlechterrollenbewusstsein
(nach Lightdale & Prentice, 1994)
Interessante Phänomene
Im Folgenden möchte ich noch auf einige Phänomene hinweisen, die unter Einbezug des
zuvor Dargestellten sehr interessant erscheinen.
Malone, J., Tyree, A. & O’Leary, D. K. fanden 1989 heraus, dass sich Männer und Frauen in einer
intimen Beziehung gleich aggressiv verhalten. In einer Längsschnittstudie wurden 272
frisch verheiratete Paare untersucht.
Überraschenderweise berichteten mehr Frauen als Männer über aggressive
Handlungen gegenüber ihrem Partner vor der Hochzeit (44% vs. 31%), nach 18 Monaten waren es noch 36% vs. 27%. (siehe auch Abbildung 4).
Die üblichsten Arten vorn Aggression zwischen Partnern sind: Stoßen, Schubsen,
Packen und Schlagen. Die aggressiven Handlungen von Frauen verursachen bei ihrem Partner
jedoch weniger Angst und weniger physische Schäden als umgekehrt.
Der größere Anteil an „Mann-zu-Frau Aggression“ geht mit mehr ernstzunehmenden physischen und psychischen
Schäden einher, weshalb in Betracht gezogen werden kann, dass die höheren Zahlen der
Aggression von Frauen aus einer sich selbstverteidigenden Situation herrühren.
Zusammenfassend kann man zu dem besorgniserregenden Schluss kommen dass Aggression
zwischen Partnern relativ üblich zu sein scheint.
![](https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiudzThRJWCxAHH-pns4vLi6BBS4AZCIZRqIqEAYYXTWKzdnFFY0o8eqzgT-ep76v4nrfP2UTHmdmufhz-OQ2hNFEd7_UpVoAMRYmpVSej_Y8SPawXEmH_0W0kKWo4wBeYoyFl-1c2CYm0/s320/Bildschirmfoto+2011-02-26+um+23.47.15.png)
Abb. 5 Auftreten aggressiver Handlungen
Literatur
Bandura, A. (1979). Aggression: eine sozial-lerntheoretische Analyse. Stuttgart: Klett-Cotta
Bettencourt, A. B., Miller, N. (1996). Gender Differences in Aggression as a Function of
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Web:
Abbildungen:
Abb. 1.
nach Heinemann, E. (1996). Aggression verstehen und bewältigen. (1. Auflage). Heidelberg:
Springer-Verlag, S. 57
Abbildung 2.
nach Bischof-Köhler, D. (2002). Von Natur aus anders. (1. Auflage). Suttgart: Kohlhammer,
S. 74
Abb. 3.
nach Bischof-Köhler, D. (2002). Von Natur aus anders. (1. Auflage). Suttgart: Kohlhammer,
S. 165
Abb. 4
Lightdale, J. R., Prentice, D. A. (1994). Rethinking Sex Differences in Aggression:
Aggressive Behavior in the Absence of Social Roles. Personality and Social Psychology
Bulletin. 20, S. 38
Abb. 5
O’Leary, K. D., Barling, J., Arias, I., & Rosenbaum, A. (1989). Prevalence and Stability of
Physical Aggression Between Spouses: A Longitutinal Analysis. Journal of Consulting and
Clinical Psychology. 2, S. 265
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