Freitag, 18. Februar 2011

Einführung in die Thematik Aggressionen aus sozialpsychologischen Kontext

Franziska Hemker


Einführung

Im folgenden Text werde ich mich mit den Grundlagen der Aggressionsforschung befassen. Was ist Aggression und warum entsteht sie? Und wie können wir als Psychologen Aggressionen messen?

Für eine Auseinandersetzung mit dem Thema ist erst einmal die genaue Definition von „Aggression“ von großer Bedeutung. Geht man hinaus auf die Straße und fragt dort Laien was sie unter Aggressionen verstehen, so ist oft von einer „guten und schlechten Aggression“ die Rede. Dies sehen Psychologen jedoch anders. „Aggression“ wird als rein antisozial angesehen. Eine zufriedenstellende Definition liefern Baron und Richardson: „Aggression ist jede Art von Verhalten, was darauf ausgelegt ist einem lebenden Organismus zu schaden oder zu verletzen, der dies vermeiden möchte“. Diese Definition klammert so Unfälle aus, bei denen jemand verletzt wird, da dies meist nicht beabsichtigt geschieht. Außerdem liegt auch eine Form von Aggression vor, wenn ein Angriff daneben geht und niemand verletzt wird, da die Absicht bestand jemandem zu schaden. Selbstmord ist nach dieser Definition keine Form von Aggression, da in diesem Falle die Person nicht vermeiden will, dass ihr etwas zustößt.


Messen von Aggression

Studien in denen aggressives Verhalten gemessen wird sind oft mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Zunächst ist es wie in jeder psychologischen Untersuchung wichtig, dass kein Teilnehmer zu Schaden kommt. Geht es um aggressives Verhalten so ist es oft schwer dies vollkommen auszuschließen. Eine weiterer Knackpunkt ist die „soziale Erwünschtheit“ (wie will ich in der Gesellschaft gesehen werden?) der Teilnehmer. In Befragungen geben die Teilnehmer oft falsche oder abgeschwächte Antworten, da sie wissen, dass es nicht gut ist in unserer Gesellschaft als aggressiv angesehen zu werden. Im folgenden Abschnitt werde ich nun verschiedene Möglichkeiten vorstellen, wie Aggressionen möglichst genau gemessen werden können. Zwei wichtige Schlagwörter sind hierbei Beobachtung und Befragung. Ich beginne mit den Möglichkeiten der Beobachtung.


Natural obervation: Hierbei werden Personen in bestimmten alltäglichen Situationen beobachtet und die Häufigkeit ihres aggressiven Verhaltens festgehalten und in Schemata eingeordnet. Bei dieser Form der Beobachtung wird durch den Versuchsleiter nichts manipuliert, er greift also nicht ein. Ein Beispiel könnte z.B. eine Untersuchung zu aggressiven Verhalten im Klassenraum sein. Der Psychologe würde sich in den Klassenraum setzen und die Kinder im Unterricht beobachten und ihr Verhalten auswerten. Stößt Stefan z.B. Lisa vom Stuhl so wird dies vom Psychologen erfasst und bewertet


In Feldstudien: wird in alltäglichen Situationen der Einfluss von vorangegangenen Ereignissen auf das anschließende aggressive Verhalten gemessen. Die vorangegangenen Ereignisse sind die unabhängige Variable und die daraus resultierende aggressive Reaktion ist die abhängige Variable, also der Faktor, der gemessen wird. Ein großes Problem stellen aber die Störvariablen dar, die den Einfluss der unabhängigen auf die abhängige Variable beeinflussen können. Ein beispielhafter Versuchsaufbau wäre z.B. eine Situation im Straßenverkehr, in der ein Komplize des Versuchs seinen Wagen abwürgt, wenn die Ampel grün wird. Hierbei könnte die stärke der Frustration variiert werden, indem man die Zeit bis der Wagen wieder gestartet wird verändert (unabhängige Variable). Die zu messende abhängige Variable wäre dann die Reaktion der Versuchsperson im Auto. Wie doll schimpft sie oder hupt sie? Eine Störvariable könnte in diesem Fall z.B. sein, dass die Versuchsperson am morgen einen Heiratsantrag bekommen hat und so bester Laune ist. Sie lässt sich also durch die nervige Situation nicht so aufregen, wie sie es normalerweise tun würde.

Laborexperimente: bieten eine guten Weg Aggression zu messen, da die unabhängige Variable sehr gut manipuliert werden kann. Störvariablen werden kontrolliert, was zu einer besseren Wirkung der UV auf die AV führt. Durch Randomisierung wird auch eine möglichst verschiedenartige Zahl an Teilnehmern ausgewählt. In natürlichen Versuchen kann es z.B. sein, dass Personen an Bushaltestellen beobachtet werden, diese unterscheiden sich aber vielleicht gar nicht so stark. Viele werden z.B. schon mal einer Schicht angehören, die kein Auto hat, entweder weil sie kein Geld haben oder Schüler/Studenten sind. Bei so einer Situation ist es oft schwer die Versuchsergebnisse zu verallgemeinern, da sie nur an diesem bestimmten Schlag von Leuten getestet wurde. In Laborexperimenten wird dieses Problem ausgeschaltet. Ein bekanntes Beispiel für ein Laborexperiment ist das Bobo-doll paradigm von Bandura, Ross und Ross. Hierbei wird die Aggression von Kindern gegen eine Puppe gemessen. Zuvor bekommen sie einen Erwachsenen gezeigt, der sich aggressiv gegenüber der Puppe verhält, dann werden die Kinder zu der Puppe gelassen. Nun wird die Härte und Art ihres aggressiven Verhaltens gemessen.



(http://www.youtube.com/watch?v=hHHdovKHDNU&feature=related)

Besonders wichtig bei Laborexperimenten ist die externe Validität (sind die Ergebnisse auf den Alltag übertragbar) und die Konstruktvalidität (beeinflusst die unabhängige Variable wirklich die abhängige Variable). Ein Problem der Bobo-doll Studie könnte z.B. sein, dass die Puppe nicht lebt und daher nichts darüber ausgesagt wird, wie sich das Kind gegenüber einem lebendem Objekt verhalten würde, dem es sichtbaren Schaden zufügen kann.

Nun werde ich die Formen der Befragung näher beschreiben.

Wie schon zuvor angesprochen lässt sich aggressives Verhalten nicht immer beobachten, da dies für die Versuchspersonen gefährlich werden könnte und daher nicht ethisch vertretbar ist. Es gibt nun verschiedene Arten der Befragung. Beim behavioural self report beantworten die Versuchspersonen Fragen und daraus wird dann berechnet wie aggressiv sie sind. Bei den Peer/other nominations beantworten andere Fragen über eine ihnen bekannte Person. Hierbei wird die soziale Erwünschtheit minimiert. Mit Hilfe von archival records lassen sich Zusammenhänge aufgrund von Statistiken berechnen. Ein Beispiel hierfür ist das Vergleichen von Kriminalitätsstatistiken und Temperaturaufzeichnungen. Sind Menschen also aggressiver, wenn es warm ist? Schwierig ist nur, dass ein Zusammenhang der vorerst plausibel wirkt nicht immer der Realität entsprechen muss. So gilt Kegeln z.B. als gefährlicher Sport, weil viele Kegler sterben, dies liegt aber eigentlich daran, dass oft erst im hohen Alter mit dem Kegeln begonnen wird. Zuletzt kann noch mit personality scales, in denen Probanden ihren Gemütszustand in Skalen anzeigen müssen, und projektiven Techniken in denen Versuchspersonen z.B. die berühmten Tintenkleckse von Rorschach interpretieren müssen, Aggression gemessen werden.


Theorien zur Entwicklung von Aggression

Wir haben nun einige Wege kennengelernt Aggression zu messen, nun werde ich auf die Frage eingehen, warum es überhaupt zu Aggressionen kommt. Hierzu gibt es einige Theorien, die alle verschiedene Schwerpunkte setzen, sich aber nicht ausschließen. Die Konzepte beschäftigen sich vor allem mit den Fragen ob Aggressionen angeboren sind und ob man sie kontrollieren kann. Es gibt psychologische und biologische Ansätze die Aggressionen erklären sollen. Ich beginne mit den biologischen Ansätzen.

Lorenz stelle die ethologische Sicht auf, in der Aggression als innewohnende Energie angesehen wird, die sich fortwährend aufbaut. Ob und wann diese Energie freigesetzt wird hängt von zwei Faktoren ab: Die Menge an aggressiver Energie und die Stärke des Stimulus. Ist also viel aggressive Energie angestaut so reicht nur ein kleiner Auslöser um diese freizusetzen. Je weniger Energie aufgebaut ist, umso größer muss der Stimulus sein, der diese freisetzt. Sollte allerdings zuviel aggressive Energie angestaut werden so kommt es zu einem spontanen Ausbruch (ein guter Vergleich ist hierbei ein Teekesselchen). Aggression ist nach dieser Theorie also immerwährend und unvermeidbar. Sie kann allerdings kontrolliert werden, indem man die aggressive Energie durch z.B. Sport raus lässt. Kritisiert wurde an dieser Theorie, dass es keinen Weg gibt die aggressive Energie zu messen und dass es auch zu zwei aufeinanderfolgenden aggressiven Ausbrüchen kommen kann. Nach Lorenz müsste ja nach einem Ausbruch erstmal die Energie aufgebraucht sein.

Die soziobiologische Sicht sieht Aggression als ein Produkt der Evolution an. Schon Darwin sagte, dass ein Organismus möglichst adaptiv sein muss, um bestmöglich zu überleben. Daly, Wilson, Buss und Shakelford dachten dies nun weiter. Sie schrieben den reproduktiven Erfolg dem aggressiven Verhalten zu. Wer Angreifer und Konkurrenten bei der Paarung abwehren kann hat die meisten Chancen seine Gene weiter zu vererben. So werden ‚aggressive Gene’ bevorzugt weitergegeben.



Die behavior genetics Theorie denkt die vorangegangene weiter. Diese Theorie beschäftigt sich vor allem mit der Frage ob Aggression angeboren ist. Um dies zu überprüfen wurden einige Studien zur Anlage-Umwelt-Debatte durchgeführt mit adoptierten Kindern oder eineiigen Zwillingen. So wurden z.B. adoptierte Kinder mit ihren biologischen und Pflegeeltern verglichen. Es zeigte sich, dass Kinder, deren biologischen Eltern kriminell sind eher auch kriminell werden, als wenn die Pflegeeltern kriminell sind. Insgesamt kann man aber sagen, dass es hier keine genauen Ergebnisse gibt. Sowohl Anlage und Umwelt spielen eine Rolle und beeinflussen sich gegenseitig.

Neben den biologischen gibt es auch einige psychologische Erklärungsansätze.

Die Freud’sche Psychoanalyse beschreibt Aggression als destruktiven Instinkt. Nach Freud wird unser Verhalten von zwei innewohnenden Kräften gelenkt. Eros ist unser Lebensinstinkt und Thanatos unser Todesinstinkt. Um diesem immerwährenden Konflikt dieser beiden Kräfte zu entgehen, kann diese destruktive Kraft (Thanatos) auch auf andere gelenkt werden, um sich selbst keinen Schaden zuzufügen. Durch die Umlenkung dieser destruktiven Kraft entsteht dann das aggressive Verhalten. Zudem beschreibt Freud noch die sogenannte Catharsis, nach der aggressive Energie durch expressives Verhalten frei gelassen werden kann. So könnte man z.B. durch Witze erzählen den inneren Konflikt abschwächen. Ein Aggressionspotential ist zwar immer da, kann aber kontrolliert werden.



Die Frustrations-Aggressions Hypothese betrachtet Aggression nicht mehr als Instinkt, sondern als innewohnender Antrieb. Dieser Antrieb ist nicht wie ein Instinkt immer da und ansteigend, sonder er aktiviert, wenn ein Gefühl der Benachteiligung entsteht. So soll der Benachteiligung entgegengewirkt werden. Diese Frustration führt also zur Aggression, was aber nicht immer der Fall sein muss. Auch Flucht und Depressionen sind mögliche Antworten auf Frustration. Ob die Frustration nun zu aggressiven Verhalten führt, hängt von vielen Faktoren ab, wie z.B. die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung. Ist diese sehr groß, so wird wahrscheinlich eher die Flucht oder Depression gewählt. In dieser Theorie spielen also kognitive Vorgänge eine sehr große Rolle.



Daraus entwickelte sich der Kognitive Neoassoziationismus. Diese Theorie beleuchtet genauer, warum Frustration nicht immer zu Aggression führen muss. Zuerst einmal sei gesagt, dass Frustration nur eine von vielen aversiven Stimuli ist, die zu einem negativen Affekt führen. Weitere aversive Stimuli sind z.B. Angst, Schmerz und psychisches Unwohlsein. Der Weg vom aversiven Reiz zur Reaktion beginnt mit einem negative affective state, die der Organismus auf einen aversiven Reiz hin spürt. Man könnte es auch als innere Gemütserregung bezeichnen, auf die hin sich der Organismus entscheiden muss, ob er kämpfen oder fliehen will. Je nachdem zu welcher Entscheidung er gekommen ist, kommt es zu einem Gefühl von Wut (kämpfen) oder Angst (fliehen). Darauf folgt die kognitive Verarbeitung der Situation, die dann gleichzeitig zu Gefühlen, motorischen Reaktionen, Gedanken und Erinnerungen führt. Aggression ist nun eine mögliche Reaktion auf diesen aversiven Reiz. Sie ist also möglich, aber nicht notwendig und wird gefördert oder unterdrückt vom aversiven Reiz.

Ein weiterer Ansatz Aggressionen zu erklären ist die Erregung Transfer Theorie. Aggressives Verhalten hängt nach Zillmann davon ab, wie stark man eine Erregung verspürt und wie man dieser einordnet. Stellt man sich also vor, man fährt mit dem Auto eine Straße entlang und plötzlich kommt eine Person hinter einem parkenden Auto hervor und schießt auf die Straße. Wir müssen scharf bremsen und verspüren dann eine körperliche Erregung. Diese wird als Wut wahrgenommen, wenn es sich bei der Person um einen Erwachsenen handelt, der für seine Handlungen selbst verantwortlich ist. Diese Wut kann dann in aggressivem Verhalten gipfeln. Tritt aber ein Kind vor uns auf die Straße und wir schaffen es noch zu bremsen, so spüren wir zwar auch eine körperliche Erregung, diese ist aber als Erleichterung einzuordnen. Wichtig ist also die körperliche Erregung in Verbindung mit den kognitiven Prozessen, die diese einordnen. Hier sind Aggressionen möglich, aber nicht notwendig.

Nach dem sozial kognitiven Ansatz gibt es kognitive Schemata, sogenannte Skripts, die aggressives Verhalten lenken. In diesen Skripts sind Abfolgen von Handlungen gespeichert, die je nach Kontext abgerufen werden. Die sozialen Infos, mit deren Hilfe die Skripts erstellt werden, kann man sich first- hand (durch eigenes Erleben) oder stellvertretend (z.B. durch die Medien) aneignen. Die charakteristischen Wege diese sozialen Informationen zu erhalten unterscheiden dann auch zwischen aggressiven und weniger aggressiven Menschen. Schaut ein Kind z.B. immer gewaltreiches Fernsehen, so wird es diese Informationen in seine Skripts aufnehmen und so in entsprechenden Situationen auch eher aggressiv handeln. Bewährt sich aggressives Verhalten immer wieder, so wird dieses auch bevorzugt benutzt. Aggressives Verhalten hängt in diesem Fall von der sozialen Informationsbeschaffung und der Erstellung der Skripte ab.

Ähnliche Ansichten sind in der Theorie verarbeitet, die besagt, dass wir Lernen aggressiv zu sein. Nach dem Prinzip der operanten Konditionierung wird aggressives Verhalten bekräftigt oder bestraft. Merkt z.B. ein Kind, dass es durch das Schlagen von Mitschülern immer das bekommt, was es will, so wird es immer wieder auf dieses Verhalten zurückgreifen. Es wurde in seinem Handeln bestärkt. Zudem spielt auch die Imitation eine wichtige Rolle. Sehen Kinder z.B. immer wieder, dass andere mit aggressiven Handlungen bekommen was sie möchten, so werden sie dieses Verhalten nachmachen. Man lernt also sich aggressiv zu verhalten oder eben nicht.

Im sozial interaktionistische Modell wird der Begriff „Aggression“ durch „Nötigung“ ersetzt. Diese Begriffsauswahl beinhaltet auch Drohungen, Bestrafungen und natürlich die körperliche Gewalt. In dieser Theorie wird Aggression nicht als impulsiv und feindlich angesehen, sondern als instrumentell. Sie dient als Mittel um das Verhalten anderer zu kontrollieren und Gerechtigkeit wieder herzustellen (natürlich subjektiv betrachtet). Bevor eine nötigende Handlung ausgeführt wird kommt es zu einem Entscheidungsprozess. In ihm entscheidet der Handelnde, welche Vor- und Nachteile die Handlung haben könnte, wie wertvoll ihm das Ziel ist (d.h. mit wie viel Aufwand er es erreichen möchte), wie die Chancen stehen, dass er es tatsächlich erreichen kann und was die negativen Effekte dieser Handlung sein könnten. Je nachdem, zu welchem Ergebnis der Handelnde gekommen ist, wird dann eine Form der Aggression ausgewählt. Aggression ist hier also ein soziales Verhalten, durch das man andere beeinflussen kann. Die Kontrolle über Aggression ist aber da.

Wir haben nun einige Theorien zur Entstehung von Aggression kennengelernt. Wie schon bereits erwähnt schließen diese sich nicht aus, sondern heben jeweils andere Dinge hervor. Welche Theorie nun ‚richtig’ ist, liegt im Auge des Betrachters. Jeder mag sich mit einer anderen Theorie identifizieren.

Literatur: Krahé 2001 Kap. 1 - Concepts and Measures of Aggression

Krahé 2001 Kap. 2 – Theories of aggressive behaviour

Franziska Hemker






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