Freitag, 18. Februar 2011

Negativer Affekt - Affektive Agressionen

Andrea Katzorke

Einführung:

Zuerst möchte ich hier ein Modell von Berkowitz (1993) vorstellen:

Wenn man in einer unangenehmen Situation ist, gibt es zwei Möglichkeiten zu reagieren: fight or flight.
Genetische Faktoren, vorheriges Lernen und die Situationsbedingung bestimmen, ob fight oder flight überwiegt, das heisst ob man sich der unangenehmen Situation stellt oder lieber die Flucht ergreift. Beide Netzwerke bestehen aus physiologischen, motorischen und kognitiven Komponenten.
Die erste Reaktion, wenn man in eine unangenehme Situation kommt ist entweder Angst, die mit flight gleichzusetzen ist, oder Verärgerung bzw. Wut, die mit fight gleichzusetzen ist.
Als zweite Reaktion folgt eine Zuschreibung und Bewertung, wofür allerdings Informationsverarbeitung notwendig ist. Dabei sei angemerkt, dass diese zweite Reaktion nicht erforderlich für Angst oder Aggression ist, da man auch impulsiv handeln kann.
Bei der Zuschreibung macht man manchmal auch einfach ein herausstechendes verfügbares Ziel verantwortlich, weil man von feindlichen Gedanken beherrscht wird. Die Schuldzuschreibung findet dann eher wegen des Resultats und nicht wegen der Ursache für Aggression statt.

2. Sozialer Stress und antisoziales Verhalten:

Personen, die anfällig für Gewalt sind, sind auch eher bereit sich antisozial zu verhalten.
Farrington (1989, 1993) fand bei einer Langzeituntersuchung an Jugendlichen folgendes heraus:
1. Soziale Faktoren, die zu starker Aggression beisteuern, sind Prädiktoren für antisoziales Verhalten.
2. Ein Index von antisozialen Tendenzen (Glücksspiel, Rauchen, betrunken fahren, Drogenkonsum) ist eine Vorhersage für Gewalt als Erwachsener.

Somit zeigt sich, dass die Analysen vom Ursprung von antisozialem Verhalten erhebliches Licht auf die Determinanten von aggressivem Verhalten geben kann und umgekehrt.

3. Frustration und Belastung in antisozialem Verhalten: Belastungstheorie:

Die Belastungstheorie von Verbrechensursachen (R. Merton) sagt aus, dass antisoziales Fehlverhalten durch extrem unangenehme soziale Erfahrung, hauptsächlich Frustration entsteht.
Doch wie entsteht Frustration?
Frustration kann durch externe Umstände entstehen. Man will zum Beispiel eine gewisse Leistung erbringen, erreicht diese aber nicht und dadurch entsteht Frustration.
Manchmal ist Frustration aber auch eine interne, emotionale Reaktion zu bestimmten Ereignissen.
Dabei ist es schwer die äußeren Umstände, durch die Frustration zustande kommt, abzugrenzen, da sie in manchen Diskussionen unscharf und allgemein sind (Armut) und in anderen Diskussionen viel begrenzter (Barriere, die eine Person von einem Ziel abhält).

4. Die 1939 Frustrations-Aggressions-Hypothese:

Dollard, Doob, Miller, Mowrer und Sears (1939) stellten die Hypothese auf, dass Frustration durch die Hinderung der Erlangung einer erwarteten Befriedigung entsteht. Dazu formulierten sie zwei Aussagen:
1. Frustration produziert einen Antrieb zu Aggression, ein Bedürfnis jemanden zu schaden, hauptsächlich, aber nicht nur, die Ziel blockierende Quelle.
2. Jede aggressive Aktion kann zu einer früheren Frustration zurückgeführt werden.


Jedoch erwiesen sich diese Aussagen nicht als ganz richtig. Bereits 1931, bevor die Frustrations-Aggressions-Hypothese überhaupt aufgestellt wurde, führte Tamara Dembo in Berlin ein Experiment durch, bei dem gezeigt wurde, dass nicht unbedingt aggressives Verhalten folgt, wenn man frustriert ist.

,,Blumenversuch“ Tamara Dembo (1931):

Versuchsaufbau:
Auf dem Boden liegt ein aus Holzstäbchen (H) zusammengelegtes Quadrat. Die Stäbe sind 2,50 m lang. Die hintere Wand ist aus sich zum Teil überdeckende Stäbe (2m und 0,75m) zusammengelegt. An zwei Seiten des Quadrates liegen in regelmäßigen Abständen je vier Holzringe (R) (Durchmesser: 15 cm). In einer Ecke des Quadrats steht ein Stuhl (S_VP). Vor dem Quadrat steht in Entfernung von 1,20m ein Holzbock (B) (1,10m hoch). Auf dem Holzbock befindet sich eine Blume (das Ziel (Z)).



Quelle: http://dl.dropbox.com/u/8230253/Dembo_1931.pdf, S.13

Versuchsablauf:
Der Versuchsleiter sagt zu der Versuchsperson: ,, Gehen Sie in das Quadrat hinein und greifen Sie von dort aus diese Blume (er zeugt auf das Ziel). Sie müssen mit den Füßen im Quadrat bleiben und die Blume mit der Hand greifen. Weder das Quadrat, noch der Bock, noch die Blume auf dem Bock darf verschoben werden.“

Die Entfernung zu der Blume ist jedoch so groß, dass sie durch Vorbeugen nicht erreichbar ist. Die Versuchsperson geht in das Quadrat und sucht die Lösung. Der Versuchsleiter geht auf seinen Platz (S_VL) am runden Tisch (T_VL), auf dem sich eine Vase (V) mit Blumen und ein Schreibgerät befindet. Er fängt an zu notieren. Der Protokollführer (Pf) hat seinen Platz vor Eintritt der Versuchsperson eingenommen und lenkt keine Aufmerksamkeit auf sich.

Lösungsmöglichkeiten:
1. Die Versuchsperson stellt den sich im Quadrat befindlichen Stuhl zwischen Bock und Quadrat und stützt sich beim Ergreifen der Blume mit der anderen Hand am Stuhl.
2. Die Versuchsperson kniet nieder und kann (die Füße im Quadrat) die Blume mit der Hand erreichen.


Eine Lösung wird früher oder später von fast allen Versuchspersonen gefunden. Hat eine Versuchsperson eine Lösung gefunden, wird sie von dem Versuchsleiter aufgefordert noch eine Lösung zu finden. Diese wird auch von den meisten gefunden. Danach bittet der Versuchsleiter nach einer dritten Lösungsmöglichkeit, die es aber in Wirklichkeit gar nicht gibt. Die Versuchspersonen bemühen sich schließlich verzweifelt. Durch diese verzweifelten Bemühungen kann es zu Affinität und Ausbrüchen kommen. Bei einer kurzen Versuchsdauer zeigen sich nur oberflächliche affektive Äußerungen (Beleidigungen etc.). Bei längerer Versuchsdauer kommen starke Aggressionen zum Vorschein. Es gibt aber auch Versuchspersonen, die keinen Affekt zeigen, sondern zum Beispiel Rückzugtendenzen (hinsetzen und aufgeben oder ähnliches). Damit wurde gezeigt, dass Frustration nicht unbedingt zu affektiven Aggressionen führt.




Später kam auch Miller zu dieser Einsicht und berichtigte deshalb den ersten Satz:
Er erkennt an, dass das nicht- erreichen von Zielen sowohl nichtaggressive als auch aggressive Konsequenzen haben kann.

Ebenso berichtige Berkowitz (1989, 1993) später auch den zweiten Satz:
Viele Taten der Aggression seien instrumentelles Verhalten, zum Beispiel ein Verhalten um Essen zu erhalten und nicht um jemanden zu verletzen.

Man könnte also zusammenfassend sagen, dass aufgrund von Frustration ein Drang für Aggression besteht. Wenn man nun eine Neigung zu feindlicher Aggression hat, besteht der Wunsch zu verletzen.


5. Gegen wen richtet sich die Aggression?

Wenn man aggressiv ist, besteht der stärkste Drang darin der Quelle der Frustration zu schaden. Allerdings kann Angst vor Bestrafung dazu führen, dass ein Ersatzziel angegriffen wird. Dies werd ich nun am Beispiel eines Experiments von Fitz (1976) verdeutlichen:

Bei einer Aufgabe dachte jede Versuchsperson er und seine drei Partner sollten die Kreativität der jeweils anderen bewerten. Dabei waren die drei Partner eingeweiht in das Experiment, natürlich ohne dass die Versuchsperson davon wusste. Eine dieser drei Partner wurde als sehr wichtig benannt und ,,P“ genannt. Von einem anderen der drei Partner wurde gesagt, er sei sehr ähnlich wie ,,P“, sodass er der Freund von ,,P“ sei und wurde ,,P´s friend“ genannt. Der dritte Partner sei ein Fremder und wurde ,,stranger“ genannt.
Die Versuchsperson wurde von ,,P“ bei der Aufgabe provoziert, indem ,,P“ sagt er zeige ,,ein widerwärtiges und Alleswisserbenehmen“. Alle anderen Personen wurden neutral behandelt. Die Versuchsperson sollte dann die Mitstreiter beurteilen und wenn diese nicht kreativ genug seien mit unangenehmen Geräuschen verschiedener Intensität bestrafen. Der einen Hälfte der Versuchspersonen wurde mitgeteilt, dass ,,P“ sie später für schlechte Arbeit mit Elektroschocks bestrafen wird (anger high fear). Die andere Hälfte erhielt vorher keine Information (anger low fear).

nach:Geen 1993, Leonard Berkowitz, Chapter 3:Affective Aggression, S.55
Wie an der Abbildung verdeutlicht, kann man sehen, dass die Probanden bei großer Angst vor dem Provokateur ihr aggressives Verhalten vermehrt auf den Freund von ,,P“ richten.


6. Muss die Ausbremsung rechtswidrig sein um Aggression hervorzurufen?

Auch ,,legitime“ Frustration kann Aggression steigern:
Bei einem Versuch von Walters und Brown (1963) lernten Kinder zunächst so zu tun, als würden sie aggressiv reagieren. Als nächstes wurde ein Teil dieser Kinder frustriert, indem sie gesagt bekamen, dass ein angeblich kaputter Fernsehapparat sie daran hindere einen versprochenen Film zu sehen zu bekommen. Bei einem späteren Spiel mit anderen Kindern waren diese dann aggressiver als die Kontrollgruppe. Diese Aggression gegen die anderen Kinder lag vor, obwohl NUR ein versprochener Film, der nicht gezeigt wurde, die Ursache war.

7. Es könnte angeboren sein:

Erforschung mit menschlichen Babys zeigt, dass Frustration eine Anstiftung zu Aggression ist. Dies gilt sogar in Abwesenheit von früherem Training aggressiv zu sein. Bei einem Versuch von Campos, Stenberg und Emde (1983) wurden die Arme und Beine von Babys eingezwängt. An dem Gesicht der Babys konnte man daraufhin Wut erkennen. Daran kann man sehen, dass Beschränkungen wie diese angeborene Auslöser für Wut sind.

8. Langzeit-Konsequenzen:

Das wiederholte Ausbremsen kann die Wahrscheinlichkeit von antisozialem Verhalten erhöhen.
Farrington (1993) zeigte, dass Kinder, die in Armut leben und wenig Fürsorge von ihren Eltern erhalten, sich im Jugendalter antisozial verhalten und als Erwachsene sozial Dysfunktional sind. Dies seien also die besten Prädiktoren für Langzeit-Konsequenzen.
Für Berkowitz (1989) entstehen die Langzeiteffekte wiederholter Frustration nicht durch Anhäufung aggressionsfördernder Situationen.
Die Person:
1. hat gelernt die Aktionen anderer als feindlich zu bewerten.
2. ist geneigt Bedrohung mit starker Aggression zu begegnen.
3. hat schwache Selbstbeherrschung gegen Aggression.

Ist Frustration die Ursache, dass in Armutsvierteln die Anzahl der Tötungsdelikte höher ist?

Frustration ist so definiert, dass sie dadurch entsteht, wenn man ein Ziel nicht erreicht. Daher kann man ausschließen, dass Frustration die Ursache für mehr Tötungsdelikte ist. Man tötet normalerweise nicht, weil man ein persönliches Ziel nicht erreicht hat.

Daran kann man erkennen, dass
1. die Belastungstheorie eher als eine Theorie über den Effekt von Belastung und nicht als Konsequenz von Frustration gesehen werden sollte.
2. es eher Belastung als Frustration ist, die zu Aggression und antisozialem Verhalten führt.


9.Physischer Schmerz:

Physischer Schmerz kann aggressive Neigung erzeugen.

Animal Research:

Bei einem Experiment wurden zwei Tiere in einer kleinen Kammer eingesperrt und erhielten einen unangenehmen Stimulus. Daraufhin kämpften die Tiere miteinander, weil sie nicht fliehen konnten. Die schmerzverursachte Aggression ist also nur eine Verteidigende und / oder der Versuch den Schmerz zu mindern, also greifen sie ein Ziel an.

Beobachtungen am Menschen:

In modernen Untersuchungen wurde gezeigt, dass Studenten, die schmerzlichen Reizen ausgesetzt sind, mehr feindliche Gedanken und wütende Gefühle haben als Studenten, die keinem Schmerzreiz ausgesetzt sind.

Das Ziel von schmerzausgelöster Aggression:

Personen, die Schmerzen haben, sind eher bereit andere zu verletzen und ihre eigenen Schmerzen zu verringern (dasselbe gilt für Tiere).
Bei einem Experiment von Berkowitz, Cochran und Embree (1981) hatten Studenten die Aufgabe eines Aufsehers. Sie sollten Arbeiter für gute Arbeit belohnen und für schlechte Arbeit bestrafen. Ein Teil der Studenten sollte dabei ihre Hand in extrem kaltes Wasser halten, der andere Teil in normales Wasser. Als weitere Variable wurde einem Teil der Studenten gesagt, Bestrafung helfe den Arbeitern, das sie motivierter wurden, den anderem teil der Studenten wurde gesagt die Bestrafung würde schaden.




nach:Geen 1993, Leonard Berkowitz, Chapter 3:Affective Aggression, S.61


Die meisten Bestrafungen erhielten Arbeiter von Versuchspersonen, die ihre Hand in kaltem Wasser hatten und denen gesagt wurde, Bestrafung helfe.


Der Effekt von Stimuli assoziiert mit Schmerz

In einem Experiment von Frazek (1974) sollten Studenten den Button einer bestimmten Farbe drücken, wenn eine bestimmte Farbe aufleuchtete. Manche der Versuchspersonen sahen in dreiviertel der Versuche ein grünes Licht gefolgt von einem elektrischen Schock. Somit bildeten sie die Assoziation grün=Schmerz. Danach sollten die Versuchspersonen anderen Leuten etwas beibringen und sollten die Schüler für jeden Fehler mit einem elektrischen Schock bestrafen. Für die Hälfte der Versuchspersonen war der Schockapparat grün, für die andere Hälfte wies der Apparat eine neutrale Farbe auf.

nach:Geen 1993, Leonard Berkowitz, Chapter 3:Affective Aggression, S.63


An den Ergebnissen kann man sehen, dass die Personen, die ein grünes Licht gefolgt von einem elektrischen Schock in der ersten Versuchsreihe bekamen und hinterher eine grüne Waffe erhielten, ihre Schüler am meisten bestraften.
Obwohl die Schüler keine Schuld hatten, wurden sie durch den aggressionsfördernden Stimulus öfter bestraft.


10. Belastung und nicht nur physischer Schmerz:

Nicht nur physischer Schmerz kann Aggression auslösen. Devine et al. (1988) stellten zum Beispiel fest, dass wirtschaftliche Unsicherheit in der USA die Anzahl der Tötungsdelikte steigerte.
Auch unangenehme Atmosphäre kann Aggression steigern. Das heiße Wetter in Texas und Houston 1980 steigerte ebenfalls die Anzahl der gewalttätigen Taten.
Eine andere mögliche Erklärung wäre natürlich, dass durch das heiße Wetter mehr Menschen draußen sind und somit mehr Konflikte möglich sind. Durch ein Experiment wurde aber die erste Annahme bestätigt. Bei einem anderen Versuch wurde gezeigt, dass Mütter ihre Kinder stärker bei Fehlern bestraften, wenn die Mütter unter Stress standen.

Alle diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine Steigerung des negativen Affekts verantwortlich für affektive Aggression ist.
Affektive Aggression entsteht also durch Belastung oder Leiden, welches durch physikalisches Empfinden verursacht ist.

11. Beziehung zwischen der Erfahrung und dem Empfinden:

Manche Wissenschaftler nehmen an, dass aggressive Reaktionen der Verteidigung dienten, um den unangenehmen Zustand loszuwerden. In vielen Experimenten konnte der unangenehme Zustand allerdings nicht durch aggressives Verhalten verringert werden. Daher kann man davon ausgehen, dass die Versuchspersonen wegen des Aggressionsdranges attackierten und nicht um ihren Zustand zu bessern.
Mehrere Experimente zeigten außerdem, dass aversive Erfahrungen motorische Impulse erzeugen, die das Ziel haben ein verfügbares Ziel zu verletzen.

12. Hemmung der aktivierten affektiven Aggression:

Bedrohung von Bestrafung

Bestrafung wirkt am Besten, wenn sie
1. hart ist.
2. schnell ausgeführt wird bevor der aggressive Mensch Freude an seinem missbilligendem Benehmen hat.
3. konsistent und gewiss ausgeführt wird.


Die Wichtigkeit der Gewissheit von Bestrafung

Je gewisser es ist, dass Täter bestraft werden, desto weniger Taten werden begangen.

Die feindliche Zuordnung und Bewertung minimieren

Aversive Bedingungen führen zu feindlichen Zuordnungen von Anderen bei mehrdeutigem Verhalten. Die Person erwartet somit eine aggressive Reaktion und greifen deshalb lieber an.
Man sollte diese Personen deshalb kognitiv-orientiert behandeln, um ihnen beizubringen, ihre Belastung als nicht-feindlich zu bewerten.


Quellen:  Affective Aggression: The Role Of Stress, Pain, And Negative Effect by Leonard Berkowitz, University of Wisconsin-Madinson, Chapter 3  http://dl.dropbox.com/u/8230253/Dembo_1931.pdf , S.12-17, 9.11.2010 19:25

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