Samstag, 26. Februar 2011

Einfluss der Persönlichkeit auf aggressives Verhalten

Anna Förster


Einfluss der Persönlichkeit auf aggressives Verhalten
(Aggressionsseminar WS 10/11, Anna Förster)
Um den Einfluss der Persönlichkeit auf aggressives Verhalten zu beleuchten, ist
zunächst eine Betrachtung der Entwicklung aggressiven Verhaltens im Kindes- und
Jugendalter sinnvoll. Danach werde ich dann auf die spezifischen
Charaktereigenschaften eingehen, die das individuelle Aggressionsverhalten im
Erwachsenenalter ausmachen.
Loeber und Hay (1997) haben diverse Fragen entwickelt um aggressives
Verhalten bei Kindern zu untersuchen. Dabei geht es auch um die Differenzierung
zwischen altersgerechtem und nicht-altersgerechtem Verhalten, denn in einem
gewissen Umfang ist aggressives Verhalten bei Kindern völlig normal und wird auch
von den meisten gezeigt.
Die erste Frage lautet: „Wann tritt aggressives Verhalten zum ersten Mal auf
und wie äußert es sich in Kindheit, Jugendalter und frühem Erwachsenenalter?“
(nach Loeber & Hay,1997, zitiert nach Krahé, 2001). Untersuchungen zeigten, dass
Säuglinge etwa ab dem dritten Monat im Gesicht ihrer Eltern Ärger erkennen können.
Bereits ab der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres gelingt es ihnen dann dieses
Verhalten zu imitieren und somit selbst ihrem Frust Ausdruck zu verschaffen. Im
zweiten und dritten Lebensjahr entstehen die ersten Konflikte mit Gleichaltrigen.
Auch Wutanfälle und körperliche Gewalt fügen sich in das Handlungsrepertoire mit
ein. In den ersten Schuljahren bilden sich dann Geschlechterunterschiede heraus.
Jungs sind im Allgemeinen aggressiver als Mädchen. Mädchen zeigen eher verbale
und relationale Aggressionen, d.h. lästern, ausschließen anderer Gleichaltriger,
Beschimpfungen, etc.
Im Jugendalter und frühem Erwachsenenalter nehmen Aggressionen
grundsätzlich ab. Vor allem Mädchen ersetzen aggressives Verhalten eher durch
andere Bewältigungsstrategien. Bleibt jedoch aggressives Verhalten anwesend, so
wird sein Muster und Level gefährlicher. Ein Grund ist die Sozialisierung der Gewalt.
In diesem Alter bilden sich Gangs die aggressives Verhalten verherrlichen.
Außerdem spielt der Besitz von Waffen eine wesentliche Rolle. In einer
Langzeitstudie aus Carolina von Cairns und Cairns (1994) wurde ermittelt, dass dort
mehr als die Hälfte der unter 16 jährigen eine Schusswaffe besitzt und sogar 81% in
einem Haushalt mit Schusswaffe leben. Der Zugang zu diesen Waffen für
Jugendliche ist also in einigen Ländern sehr leicht.
In diesem Zusammenhang kam es auch innerhalb des Seminars zur
Diskussion, in der sowohl argumentiert wurde, dass die Präsenz von Waffen
Aggressionen fördert, als auch, dass Waffen keinen Einfluss haben sofern Kindern
die richtige Einstellung dazu lernen. Es wurde beispielsweise der Vergleich von
Kanada und den USA genannt, in denen die Anwesenheit von Waffen in etwa gleich
ist, die Kriminalität jedoch sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Die Anwesenheit von
Waffen allein, scheint also nicht entscheidend für aggressives Verhalten.
Die zweite Frage die Loeber und Hay (1997) formulierten beschäftigt sich
damit wie überdauernd frühe Auftretensweisen von aggressiven Verhalten bei
Kindern sind, wenn sie älter werden. Um diesen Aspekt auf der Gruppenebene zu
betrachten, fertigte Olweus (1979) aus 16 Studien eine Stabilitätsschätzung über
männliche Aggressivität an. Es ergaben sich folgende Stabilitätskoeffizienten: nach
einem Jahr r=0,76; nach fünf Jahren r=0,69; nach zehn Jahren r=0,6. Zunächst zeigt
sich, dass Aggressivität relativ stabil ist und mit steigendem Alter eher sinkt. Dabei ist
aber zu beachten, dass es auf individueller Ebene sowohl die Entwicklung von
aggressiven Verhalten zu weniger aggressiven Verhalten gibt also auch die konträre
Entwicklung von nicht-aggressiven zu aggressiven Verhalten.
Des Weiteren fragten sich Loeber und Hay (1997) ob die Entwicklung von
aggressivem Verhalten einem Eskalationsmuster folgt. Dabei muss man zunächst
zwischen einer kurzfristigen und langfristigen Eskalation unterschieden werden. Bei
der langfristigen Eskalation nimmt die Schwere des aggressiven Verhaltens von der
Kindheit bis in das Erwachsenenalter allmählich zu. Bei der kurzfristigen Eskalation
hingegen, zeigt sich aggressives Verhalten plötzlich ohne vorangegangenes
auffälliges Verhalten.
Abb. 1 zeigt die langfristige Eskalation auf der Gruppenebene
bei Jungen. Untersucht wurden geringere Aggressionen, körperliche Kämpfe und
Gewalt. Als erstes treten bei Kindern geringere Aggressionen auf wie beispielsweise
das Hänseln von Gleichaltrigen. Später, ab etwa sechs Jahren, nutzen sie dann auch
körperliche Kämpfe, welche aber auch schnell das Auftretensniveau der geringeren
Aggressionen erreichen. Gewaltverhalten setzt am spätesten ein und bleibt auch weit
unter der Auftretenswahrscheinlichkeit der anderen Aggressionen, aber erreicht mit
etwa 15 bis 20 Prozent ein beachtliches Level.


Abb. 1 Kulmulativer Onset von Aggressionen bei Jungs (Krahé, B. (2001). Individual differences in aggression. The Social Psychology of Agression, S.52)

Außerdem zeigten Moffitt et al. (1996), dass 73% der Straftäter die mit 18 Jahren für
eine Gewalttat verurteilt wurden, bereits in ihrer Vergangenheit regelmäßig durch
unsoziales Verhalten aufgefallen sind. Andererseits findet sich an dieser Stelle auch
die kurzfristige Eskalation. Denn genauso waren 23% der Verurteilten in ihrem
Verhalten vorher unauffällig. Mögliche Gründe für eine kurzfristige Eskalation können
starke Unterbindung von aggressiven Verhalten in der Vergangenheit, geringes
Selbstbewusstsein und Zuwendung zu anderen aggressiven Gruppen sein.
„Welche sind die emotionalen und kognitiven Ursachen für aggressives
Verhalten?“ (nach Loeber & Hay, 1997, zitiert nach Krahé, 2001). Emotionale
Ursachen sind Defizite in der emotionalen Regulation und Impulskontrolle. Kindern
mit diesen Schwierigkeiten wird oft ein schwieriges Temperament zugeschrieben und
dementsprechend wird das Verhalten der sozialen Umwelt ihnen gegenüber
beeinflusst. Auf kognitiver Ebene haben sowohl eine niedrigere Intelligenz und
Aufmerksamkeitsstörungen als auch Einstellungen einen großen Einfluss.
Einstellungen entwickeln sich durch die eigenen Eltern und Medien und können dafür
verantwortlich sein, dass Aggressionen als legitime Handlung angesehen werden.
Des Weiteren gibt es Kinder, die unverhältnismäßig oft die Absichten Gleichaltriger
als feindselig interpretieren und somit auch mit aggressivem Verhalten reagieren. Je
öfter sie solche Situationen erleben, desto mehr festigt sich dieses
Handlungsschema.
Zuletzt beschäftigten sich Loeber und Hay (1997) noch mit der Rolle des
sozialen Umfeldes bei der Entstehung und Fortdauer von aggressiven
Verhaltensmustern. Wie bereits erwähnt prägen Gewalt in der Familie und in den
Medien die Einstellungen der Kinder und damit ihre Verhaltensmuster. Schon im
Alter von sechs Jahren werden unangemessen aggressive Kinder von Gleichaltrigen
abgegrenzt. Dadurch zeigen diese dann noch aggressiveres Verhalten was ihre
Isolation weiter fördert. Die Zuwendung zu anderen aggressiven Gleichaltrigen
fördert diese negative Entwicklung weiter. Trotzdem muss dieser Zustand nicht bis in
das Erwachsenenalter halten.
Nach der Betrachtung der Entwicklung aggressiven Verhaltens bei Kindern, werde
ich nun die Charaktereigenschaften betrachten, die das individuelle
Aggressionsverhalten im Erwachsenenalter ausmachen. Die Rolle der
Persönlichkeitsfaktoren ist weit weniger erforscht als der Einfluss von
Situationsfaktoren auf Aggressionen. Dennoch wurden einige
Persönlichkeitskonstrukte vorgeschlagen und untersucht.
Dazu gehört beispielsweise die Reizbarkeit, die folgendermaßen definiert ist:
„Tendenz impulsiv, unangemessen oder grob auf die kleinste Provokation oder
Streitigkeit zu reagieren.“ (nach Caprara, Perugini, Barbaranelli, 1994, zitiert nach
Krahé, 2001). Caprara (1994) entwickelte dazu die Caprara Irritability Scale, mit
deren Hilfe das Ausmaß der Reizbarkeit gemessen wurde. Dazu müssen die
Probanden unterschiedliche Items beantworten, z.B. „Ich bin ziemlich empfindlich.“
Des Weiteren wurde die emotionale Empfindlichkeit untersucht und definiert:
„Tendenz ein Gefühl des Unwohlseins, der Hilflosigkeit, der Unzulänglichkeit oder
der Verletzlichkeit zu erleben.“ (nach Caprara et al., 1994, zitiert nach Krahé, 2001).
Menschen die reizbarer oder emotional empfindlicher sind, haben eine höhere
Aggressionsbereitschaft. Außerdem ist ihre Reizschwelle bei vorangegangener
Frustration deutlich niedriger. Das heißt, dass diese beiden Konstrukte einen Einfluss
auf affektiver Ebene haben.
Dagegen sind Dissipatoren bzw. Ruminatoren eher auf kognitiver Ebene
einzuordnen. Sie stellen die Pole eines Kontinuums dar, dass beschreibt wie sehr
sich ein Mensch nach einem Aggressionen auslösenden Reiz mit aggressiven
Gedanken beschäftigt (nach Krahé, 2001). Hohe Dissipatoren können eine
provozierende Situation schnell und ohne großen kognitiven Aufwand bewältigen.
Stattdessen beschäftigen sich Ruminatoren sehr stark mit solchen Ereignissen und
arbeiten eher an Vergeltungsplänen.
Eine weitere kognitive Disposition ist der hostile attribution bias. Dabei handelt
es sich um die Tendenz einen mehrdeutigen Reiz als feindselig und aggressiv zu
interpretieren. Das bezieht sich sowohl auf die Wahrnehmung wie sich jemand
behandelt fühlt als auch wie er seine soziale Umwelt generell wahrnimmt (nach
Krahé, 2001). Zwar findet sich der hostile attribution bias auf kognitiver Ebene, aber
er beeinflusst das aggressive Verhalten auch stark gemeinsam mit affektiven
Dispositionen wie der Reizbarkeit.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Konstrukte, welche aggressives
Verhalten hemmen können, z.B. die Empathie. Empathie bedeutet, dass man sich in
jemand anderes Hineinversetzen kann.
Diermeier und Grübl (2003) untersuchten in einer Studie unter anderem den
Zusammenhang zwischen Empathie und Aggressionshäufigkeit und setzten die
Hypothese auf, dass zwischen ihnen ein negativer Zusammenhang besteht. Um
dieses Zusammenhang zu belegen verteilten sie Fragebögen zur Empathie, zur
Aggressionshäufigkeit und eine Lügenskala an verschiedene Schüler. Der
Empathiefragebogen enthielt 28 Items mit einer Kodierung von 1 (wenig empathisch)
bis 3 (sehr empathisch). Der Fragebogen zur Aggressionshäufigkeit hatte 30 Items
mit einer Kodierung von 1 (nicht aggressiv) und 2 (aggressiv). Die Lügenskala
bestand aus 16 Items mit einer Kodierung von 1 (lügt nicht) und 2 (lügt). Die
Auswertung ergab dann einen Zusammenhang zwischen Empathie und
Aggressionshäufigkeit von r=-0,464. Das heißt, dass ihre Hypothese bestätigt wurde.
Diese Studie zeigt also, dass bei höherer Empathie, die Aggressionshäufigkeit
abnimmt und auf der anderes Seite bei geringerer Empathie abnimmt.
Ein weiteres Konstrukt, das Einfluss auf das aggressive Verhalten hat, ist das
Selbst, bei dem ich das Selbstbewusstsein und die Selbstkontrolle separat
betrachten werde.
Beim Selbstbewusstsein wird traditionell angenommen, dass ein geringes
Selbstbewusstsein aggressives Verhalten fördert. Viele Studien unterstützen diese
Auffassung. Auch die Kursteilnehmer tendierten während der Diskussion eher zu
dieser Meinung. Ein Beispiel einer Kursteilnehmerin war, dass selbstbewusste
Menschen mit Kritik besser umgehen können, weil sie sozusagen „darüber stehen“.
Menschen mit geringerem Selbstbewusstsein hingegen, könnten ihrer Meinung nach
mit Kritik schlechter umgehen und fühlen sich eher angegriffen, da sie nicht so stark
gefestigt sind. Sie tendieren also eher zu einer aggressiven Reaktion. Des Weiteren
wurden in dieser Diskussion auch über Amokläufe gesprochen, in denen bekanntlich
einen hohes Maß an Aggressionen, nämlich Gewalt, gezeigt wird. Die
Diskussionsteilnehmer vermuten hinter den Tätern eher zurückgewiesene und
isolierte Personen mit geringem Selbstbewusstsein.
Baumeister und Boden (1998) bezweifeln stattdessen vorangegangene
Studien und vertreten die Auffassung, dass Menschen mit hohem Selbstbewusstsein
bei einem Angriff ihres Selbstbewusstseins eher mit aggressiven Verhalten reagieren
würden. Sie zogen Belege aus einem breiten Feld heran: experimentelle Versuche,
häusliche Gewalt, Morde und Übergriffe, und sogar Gewalt, die von politischen
Gruppen begangen wird (nach Krahé, 2001). Abschließend bleibt wohl zu sagen,
dass sowohl ein geringes als auch ein hohes Selbstbewusstsein aggressives
Verhalten auslösen. Welche Ausprägung den größeren Einfluss hat, bleibt offen.
Der Selbstkontrolle schreibt man eine aggressionshemmende Funktion.
Deswegen besteht die Vermutung, dass einige Menschen an einem chronischen
Defizit in der Selbstkontrolle leiden und sich deshalb kriminell verhalten. Diese
Annahme wird beispielsweise durch Kriminalstatistiken unterstützt. Viele Straftäter
begehen wiederholt kriminelle Delikte. Des Weiteren geht kriminelles Verhalten oft
auch mit anderen unkontrollierten Handlungsweisen wie starkem Rauchen oder
Alkoholkonsum einher.



Verwendete Literatur:
Krahé, B. (2001). Individual differences in aggression.The Social Psychology of
Aggression (S. 47-66). East Sussex: Psychology Press
Diermeier, M. & Grübl, M. (2003). Validierung und Weiterentwicklung eines
Fragebogens zur Erfassung von Empathie, Prosozialität, Legitimation von
aggressivem Verhalten und Aggressivität. www-cgi.uni-regensburg.de

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