Mittwoch, 2. März 2011

Aggression und Temperatur

Johanna
Seit Jahrhunderten haben Menschen die Vermutung gehabt, heiße Temperaturen würden Aggressivität fördern und Menschen aus heißen Ländern seien anfälliger für Aggressivität. Wissenschaftler haben die Hitze-Hypothese etwas präziser formuliert. Diese besagt, dass bei unangenehm heißen Temperaturen aggressive Motive und aggressives Verhalten zunehmen sollten. (Krahé, 2001)
Dabei müssen wir zwei Paradoxe erklären. Erstens braucht Aggression Energie. Bei Hitze wird
unser Körper träge – wir haben keine Energie, die Motivation und Aufmerksamkeit sinken.(Anderson, C.A., Anderson, K.B.,1998)
Hierzu gab es Experimente. In einem mussten die Vpn ein PacMan-artiges Spiel spielen. Dabei gab es sechs Stufen der UV; zwei für das Frustrationsniveau (angenehme und unangenehme Spielposition) und drei für die Temperatur (angenehm, warm und heiß).
Im zweiten Experiment mussten die Vpn einen Fragebogen über ihre Stereotype über fremde Völker ausfüllen. Dieses erfolgte drei Mal während des Experiments, einmal vor einer kardiovaskulären Sportübung, und zwei Mal danach. Die Vpn waren in drei Gruppen, je nach Temperatur (angenehm, warm und heiß), eingeteilt.
In beiden Experimenten konnte man feststellen, dass Vpn, die unter heißen Konditionen ihre Aufgaben durchführen mussten, allgemein feindseligere Einstellungen und Stereotype äußerten. Zusätzlich gaben sie an, dass aggressives Verhalten typisch für sie wäre. Während des Experiments stieg bei diesen Vpn die Herzfrequenz, aber im Vergleich zu der Kontrollgruppe, war die subjektive Wahrnehmung des Arousals niedriger. (Anderson, Deuser, DeNeve, 1995)
Der zweite Paradox ist: Wenn die Temperatur unangenehm sein muss, um Aggressionen zu beeinflussen, warum redet man nur über Hitze und nicht über Kälte? Eine mögliche Theorie könnte sein, dass Kälte einfacher zu vermeiden und zu kontrollieren und daher auch nicht so frustrierend ist. Hitze ist schwerer zu entgehen. (Krahé, 2001)
Biologische Theorien des Hitze-Effekts
Blutgefäße im Sinus Cavernosus versorgen die emotionalen Zentren im Gehirn mit Blut, das vom Nasen-Stirn-Bereich aus einfließt. Durch Anspannung einiger Gesichtsmuskeln kann sich das Blut erwärmen, dagegen kann Entspannung es kühlen.
Ein Experiment belegt, dass die Erhöhung von Stirntemperatur auf emotionales Empfinden wirkt. Die Vpn mussten den Laut Ü aussprechen. Ü verengt die Sinuus, wohingegen „ah“ und „e“ sie öffnet. Die Vpn gaben eine Bevorzugung der Letzteren an, da sie sich besser fühlten, wenn sie keine Ü-Töne hervorbringen mussten. Desweiteren haben Vpn kühle Luft auf ihren Stirn und ihre Nase geblasen bekommen und es hat ebenso positivere Gefühle in den Vpn hervorgerufen.
Man geht davon aus, dass ein kühler Kopf bei der Freisetzung von bestimmten Neurotransmittern hilft, die dann zu einem positiven Affekt führen. (Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998)
Thermoregulationen sind die physiologischen Prozesse, die bei unangenehmen Temperaturen unsere Körpertemperatur regulieren. Diese Prozesse werden von der Amygdala, Hypothalamus und Hippocampus geregelt. Diese Kerne schütten auch Hormone und Neurotransmitter aus, die mit Aggression in Verbindung stehen.
Zum Beispiel schüttet bei Kälte der Hypothalamus Acetylcholin aus um die Körpertemperatur zu erhöhen. Es wurde aber bewiesen, dass Acetylcholin Aggression erhöht. Ein anderes Beispiel wäre, dass wenn ein Körper schwitzt, die Nebennierenrinde Corticosteroide ausschüttet, die folglich die Testosteronausschüttung beeinflussen. (Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998)
Soziale und Kognitive Theorien
Die Social Learning Theory (Bandura 1973) besagt, dass das Beobachten von Aggression (sowie anderen Verhaltensweisen) zu deren Aneignung, Durchführung und Erhaltung führen kann. (Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998)
Die Contemporary Cognitive Neoassociation Theory (Berkowitz 1984,1993) repräsentiert Gedanken, Gefühle und Verhaltensprogramme als „gemeinsam gespeichert“ wie in einem Netz. Wenn dann das Eine aktiviert wird, werden die anderen mit aktiviert. Wenn eine Situation an eine andere erinnert, die mit starken aggressiven Gefühlen belastet war, werden die dazugehörigen Verhaltensmuster mit aktiviert.
(Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998)
Archiv Recherchen
Für Korrelationen zwischen Temperatur und Aggression wurden und werden oft archivierte Daten von Verbrechensquoten und Temperaturstatistiken analysiert. Hierbei werden meistens Mord und Überfall separat von Betrügerei, Diebstahl und Krieg betrachtet. Verbrechen, die von Geld motiviert sind, sind nicht zu vergleichen mit affektiven, aggressiven Taten. Eine Vergewaltigung ist auch öfters nicht als Körperverletzung zu verstehen, sondern als Machtausübung und von daher nicht als affektive Aggression zu sehen. (Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998)
Der Einfluss der geographischen Region
In dieser Untersuchungsform wird die Gewalthäufigkeit zwischen heißen und kalten Regionen innerhalb eines Landes verglichen. Die Ergebnisse sind eindeutig: Heiße Regionen haben höhere Gewaltverbrechensquoten.
Der Vorteil dieser Methode verglichen mit internationalen Studien ist, dass die landespezifischen Unterschiede nicht mitspielen. Leider können geographische Unterschiede innerhalb des Landes nicht ausgeschlossen werden. Deswegen hat man Kontrollen über demographische und sozio-ökonomische Faktoren, wie Populationsgröße, Altersverteilung, Arbeitslosen Quote, Bildungshintergrund und ethnischer Zusammenstellung, durchgeführt. Doch der Effekt ist gleichgeblieben: Heiße Regionen
haben erhöhte Gewaltverbrechensquoten. (Krahé, 2001)
Der Effekt der geographischen Region kann nur bestätigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Gewaltverbrechen und Hitze gibt. Er erlaubt keine Aussagen über einzelne Personen. Jedoch sind die Jahre übergreifenden großen Datenmengen ein ergänzender Beweis für die Hitze-Hypothese. (Krahé, 2001)
Die südliche Kultur der Gewalt (Nisbett,1993)
Südliche Kulturen (meistens Südstaaten der USA) haben eine positiverer Einstellung gegenüber Gewalt, was sich darin zeigt, dass Selbstverteidigung als Antwort auf Beleidigung oder Provokation gesellschaftlich akzeptabel ist/war. Cohen, Nisbett, Bowdle & Schwarz (1996) zeigten in einem Experiment, dass Südländer erhöhten Ärger als Reaktion auf Provokation zeigten und interpersonale Konflikte mit aggressiven Lösungen behandelten. Die südliche Kultur der Gewalt könnte eine Erklärung für regionale Unterschiede in aggressivem Verhalten innerhalb eines Landes bieten. (Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998)
Der Zeitraum – Effekt
Hier werden Aggressionsunterschiede durch Temperaturänderungen über die Zeit (Jahreszeiten, Monate, Tageszeiten) innerhalb einer Population untersucht. Obwohl die Bevölkerungsspezifischen Unterschiede ausgeschlossen sind, könnten die jahreszeitlichen Unterschiede im Verhaltensmuster problematisch werden. (Krahé, 2001)
Die Routinenaktivitätstheorie Cohen & Felson (1979)
Betrachten wir die Routineänderungen bei Temperaturänderungen. Im Sommer gehen die Leute mehr raus, mehr Alkohol wird getrunken und die Kinder werden öfters vernachlässigt. So ist es auch vor der Weihnachtszeit: Unfälle mit Alkohol am Steuer sind häufiger vor Weihnachten als im Januar. (Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998)
Eine mögliche Problemlösung für diesen Zeitraum – Effekt: Der Vergleich zwischen heißen und kalten Jahren oder Tagen. Die Ergebnisse waren wieder eindeutig: Mord-, Überfall- und Vergewaltigungsquoten sind am höchsten in den Sommermonaten und die Notrufhäufigkeit bei der Polizei steigt linear mit der Temperatur an. (Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998)
Achtung: Fokus auf affektive Aggression: Eigentumsverbrechen blieben konstant, unabhängig von der Temperatur.
Das Gleichzeitige Hitze Paradigma
Hier werden keine Archive untersucht, sondern echte Experimente durchgeführt. Die einfachste Methode: Die Temperatur variieren und den Einfluss auf die Aggression ein und derselben Person gleichzeitig messen. Oft benutzt man als Maßeinheit die Anzahl von gegebenen Elektroschocks (Bestrafung, Rache). (Krahé, 2001)
Der Vorteil eines Experiments ist natürlich, dass die Störvariablen gut kontrollierbar sind. Allerdings ist diese Art von Experimenten leicht zu durchschauen, denn Menschen wissen intuitiv, dass Hitze Aggression fördert. Außerdem ist der Zusammenhang zwischen künstlicher Hitze und den zu erledigenden Aufgaben nicht schwer zu erkennen. Die Vpn fühlen sich oft auch beobachtet und benehmen sich in einer gesellschaftlich erwünschteren Art. Schließlich ist Aggression ein Tabu. (Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998)
Aggression von Polizisten während verschiedener Temperaturen (Vrij, Steen & Koppelaar, 1994)
38 Polizisten wurden in zwei Gruppen eingeteilt, einmal in die Kondition 21°C (Kontrollgruppe) und einmal in 27°C (Experimentalgruppe). Sie mussten ein Waffentraining in virtueller Realität durchführen. Das ist eine reguläre Trainingsmethode für Polizisten.
Die experimentelle Situation stellte einen Einbruch dar und die Aufgabe der Polizisten war, sich in einer Face-to-Face-Konfrontation mit dem Verbrecher so zu verhalten, wie man es am besten in der Realität auch tun würde. Als Waffe in der VR besaßen die Polizisten eine Laserstange und sie sollten die Hände bereits an ihrer Waffe halten.
Nachdem die Polizisten auf die Situation reagiert hatten, mussten sie einschätzen, wie aggressiv sie den Verbrecher und wie gefährlich sie die Situationen wahrgenommen haben. Durch eine Videoaufnahme haben die Versuchsleiter den negativen Affekt und die Tendenz zum Angriff beurteilt. Diese Tendenz mussten die Vpn auch selbst einschätzen.
Die Unterschiede waren signifikant: Die Polizisten der Experimentalgruppe waren in jeder Messung der AV stärker von der Temperatur beeinflusst. Sie hatten z.B. ihre Waffen öfters bereit als die der Kontrollgruppe (27°C).
Kopfstehende U-Kurven (Baron & Richardson, 1994)
Die allgemeine Vermutung wäre, dass die Aggression linear mit der Temperatur steigt - Je heißer, desto aggressiver wird man. Doch in einigen Experimenten kamen die Wissenschaftler zu anderen Ergebnissen. Die Temperatur steigt linear mit der Aggression, zumindest am Anfang, aber irgendwann kommt eine individuelle „Höchsttemperatur“ und die Aggression baut sich wieder ab. Eine mögliche Erklärung hierfür bietet die Fluchttheorie an.
Die Fluchttheorie des negativen Affekts Baron & Bell (1976), Bell (1992)
Wir stellen uns eine Situation vor, in der die Hitze durch negativen Affekt Aggression auslöst. Wird nun die Hitze unerträglich, oder wird die Situation durch Provokation überfordernd, wird zum primären Gedanken: Flüchte! Aggressionen frei zu lassen wird als Motiv dann sekundär. (Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998)
Fazit
Keine der vorgestellten Theorien ist all erklärend. Die Routineaktivitätstheorie kann nur den Zeitraum Effekt erklären, die ‚Südliche Kultur der Gewalt‘ kann nur den Effekt der Geographischen Region erklären und die Fluchttheorie des negativen Affekts kann einiges über das Gleichzeitige Hitze Paradigma erklären.
Die empirischen Beweise für die Hitze-Hypothese sind überzeugend, aber weitere Beweise sind trotzdem nötig. Jetzt bleiben wir dabei, dass Temperatur ein weiterer Faktor für Arousal ist, sowie Lärm, also als ein Faktor für Unbehagen betrachtet werden sollte. (Krahé, 2001)
(Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998)
Bild: Anderson, C.A., Anderson, K.B., 1998
Literaturverzeichnis
Anderson, C.A., Anderson, K.B. (1998): Temperature and aggression: Paradox, controversy, and a (fairly) clear picture. In R.G. Geen & E. Donnerstein (Eds.), Human aggression: Theories, research and implications for social policy. San Diego, Academic Press. S. 247-298.
Anderson, Deuser, DeNeve (1995): Hot Temperatures, Hostile Affect, Hostile Cognition, and Arousal: Tests of a General Model of Affective Aggression. In Personality and Social Psychology
Bulletin, H. 21, S. 434-448.
Krahé (2001): Social Psychology of Aggression. East Sussex, Psychology Press Ltd. S.80-89
Vrij, Steen & Koppelaar (1994): Aggression of police officers as a function of temperature: An experiment with the fire arms training system. In Journal of Community & Applied Social Psychology. Jg. 4, H. 5, S. 365–370.

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