Mittwoch, 2. März 2011

Emotionsregulation



1. Einleitung
Noch vor wenigen hundert Jahren ging man davon aus, dass menschliche Empfindungen kommen und gehen, und der Empfindende keinen Einfluss auf deren Erleben hat. Zwar gab es schon früh Persönlichkeitstypologien, wie z.B. Säftetypologien, die einräumten, dass es interindividuelle Unterschiede der Persönlichkeit und somit auch der Empfindungen gibt. Aber erst in den letzten zweihundert Jahren setzte sich in der psychologischen Forschung die Überzeugung durch, dass jeder Mensch das Erleben von Emotionen aktiv beeinflusst und spezifische und über die Zeit relativ konstante Strategien zur Emotionsregulation verwendet (Gross & John, Journal of Personality and Social Psychology 2003, Vol. 85, No. 2, 348–362).
Im Folgenden soll zunächst ein in der Verhaltensforschung allgemein anerkanntes Prozessodell der Emotionsregulation vorgestellt werden. Anschließend wird auf zwei Strategien zur Emotionsregulation, die kognitive Neubewertung und die Unterdrückung des emotionalen Ausdrucks, näher eingegangen werden. Insbesondere wird erörtert werden, wie sich die überwiegende und dauerhafte Anwendung einer der beiden Strategien auf Affekte, Sozialkompetenz und allgemeines Wohlbefinden ihrer Anwender auswirken.



2. Ein Prozessmodell der Emotionsregulation
Abb. 1 zeigt ein Prozessmodell der Emotionsregulation aus der Verhaltensforschung. Diesem Modell zufolge können Emotionen an fünf Orten des Emotionsentstehungsprozesses reguliert werden: Bei der Auswahl einer Situation (situation selection), ihrer Veränderung (situation modification), der Aufmerksamkeitszuwendung (attantional deployment), kognitiven Veränderungen (cognitive change), oder durch Veränderung des emotionalen Ausdrucks auf Wahrnehmungs-, Verhaltens- oder physiologischer Ebene (response modulation).

Abb.1

3. Strategie 1: Kognitive Neubewertung
In Abb. 1 ist bereits die erste Strategie zur Emotionsregulation, die hier genauer betrachtet werden soll, aufgeführt: die kognitive Neubewertung (reapraisal)1. Wie aus der Abbildung hervorgeht, handelt es sich hierbei um eine auf das Vorhergehende fokussierte Vorgehensweise, die v.a. kognitive Veränderungen im Blick hat. Die kognitive Neubewertung ist eine Form kognitiver Veränderungen, die darin besteht, eine potentiell emotionserzeugende Situation in einer Art und Weise zu konstruieren, die deren emotionales Potenzial verringert. Gelingt es z.B. einem Bewerber, sein Bewerbungsgespräch anstatt als belastende Beurteilung seiner Person als gute Gelegenheit zum Kennenlernen des Unternehmens zu betrachten, so hat er erfolgreich die Strategie der kognitiven Neubewertung angewandt.

4. Strategie 2: Unterdrückung des emotionalen Ausdrucks
Ebenfalls in Abb. 1 eingezeichnet ist die Unterdrückung des emotionalen Ausdrucks (supression)2. Diese antwortfokussierte Strategie greift zu einem Zeitpunkt des Emotionsentstehungsprozesses ein, an dem bereits eine bestimmte Situation ausgewählt und interpretiert wurde und die Emotion bereits entstanden ist. Verändert wird somit nicht die Emotion selbst, sondern lediglich ihr Ausdruck wird gehemmt. Hierunter fallen zum Beispiel Verhaltensweisen, die mit der Redensart „gute Miene zum bösen Spiel machen“ gemeint sind: Ein Unterdrücker lässt sich von seinen Emotionen nichts anmerken und ist darauf konzentriert, sie zu überspielen.


5. Ältere Befunde zur Emotionsregulation
Zunächst sollen einige ältere Befunde zum Thema Emotionsregulation kurz zusammengefasst werden.
Insbesondere kurfristige Auswirkungen der beiden von Neubewertung und Unterdrückung wurden bereits intensiv erforscht. So konnte z.B. experimentell gezeigt werden, dass Unterdrücker, obwohl sie nach außen hin keine emotionale Reaktion zeigen, in der selben unangenehmen Situation ebenso starke negative Emotionen erleben wie Nicht-Unterdrücker. Dagegen verringerte die kognitive Neubewertung der situation sowohl den Ausdruck als auch das Erleben der Emotion. Hier konnte eine verblüffende Asymmetrie festgestellt werden: Während die Unterdrückung negativer Emotionen das Erleben derselben intakt ließ, verringerte die Unterdrückung positiver Emotionen deren Erleben (Gross & Levenson, 1997; Stepper & Strack, 1993; Strack, Martin, & Stepper, 1988).
Ferner konnte gezeigt werden, dass die Unterdrückung von Emotionen hohe kognitive Kosten hat, die sich insbesondere im sozialen Kontext bemerkbar machen. So beeinträchtigt Unterdrückung - nicht aber Neubewertung - das Gedächtnis hinsichtlich sozialer Informationen wie z.B. Name oder Alter eines Gesprächspartners, die präsentiert werden, während der Zuhörer Emotionen unterdrückt (Richards & Gross, 2000). Dass diese Beeinträchtigung weitere soziale Defizite nach sich zieht, konnten Butler et al. belegen: Die Interaktion mit einem emotionsunterdrückenden Partner wird als stressiger wahrgenommen als mit nichtunterdrückenden, wie mittels Blutdruckmessungen gezeigt werden konnte (Butler et al., 2003). Die Unterbrechung des Gebens und Nehmens emotionaler Kommunikation durch Unterdrückung scheint somit weitreichende soziale Auswirkungen zu haben.

6. Neuere Studien von Gross & John
Die oben beschriebenen Experimente untersuchten lediglich unmittelbare Auswirkungen der verschiedenen Strategien zur Emotionsregulation. James J. Gross von der Universität Stanford und Oliver P. John von der University of California, Berkeley, sind der Frage nachgegangen, ob es ethnische- und Geschlechtsunterschiede in der Bevorzugung der beiden Vorgehensweisen gibt, in welchem Verhältnis Emotionsregulation zu anderen theoretischen Konstrukten steht und wie sich die überwiegende Anwendung einer der beiden Strategien langfristig auf Affekte, Sozialkompetenz und allgemeines Wohlbefinden ihrer Anwender auswirkt.

6.1. Studie 1: Ethnische und Geschlechtsunterschiede
Mit Hilfe eines Fragebogens zur Emotionsregulation wurde untersucht, ob es Unterschiede zwischen den Geschlechtern und zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen hinsichtlich ihrem Umgang mit Emotionen gibt.
Die Ergebnisse sind in den Abb. 2 und 3 dargestellt. Es konnte gezeigt werden, dass Männer ihre Emotionen häufiger unterdrücken als Frauen, und Angehörige ethnischer Minderheiten in den USA öfter als weiße Amerikaner.

Abb.2: Durchschnittlicher Grad der Emotionsunterdrückung bei Männern und Frauen.
Abb.3: Durchschittlicher Grad der Emotiondunterdrückung bei Angehörigen verschiedener Bevölkerungs-gruppen in den USA.

6.2. Studie 2: Implikationen für die affektive Responsivität
In der darauf folgenden Studie wurde untersucht, wie sich die überwiegende Anwendung einer der beiden Strategien zur Emotionsregulation auf die affektive Responsivität auswirkt. Hierunter kann man sich das emotionale „Ansprechverhalten“ eines Menschen vorstellen, d.h. seine Fähigkeit, positive und negative Emotionen zum angemessenen Anlass und in angemessenem Ausmaß zu erleben. Dies wurde vor allem mittels Fremdbeurteilungen untersucht.
Hierbei konnte gezeigt werden, dass die Neubewertung das Erleben von positiven Emotionen fördert und das Erleben von negativen Emotionen hemmt. Emotionsunterdrückung hingegen fördert das Erleben negativer Emotionen und vermindert das Erleben positiver Emotionen. Ferner fällt es anderen Menschen relativ leicht, das Unterdrücken von Emotionen bei anderen als solches zu erkennen.

6.3. Studie 3: Implikationen für die Sozialkompetenz
Das beeinträchtigte Emotionserleben und das Auseinanderfallen von Verhalten und Erleben lassen Beeinträchtigungen auch der sozialen Kontakte der Unterdrücker erwarten. Beziehungen von emotionaler Nähe geben Anlass zu Emotionen, und sie verlangen danach, dass die Beziehungspartner diese teilen. Es liegt nahe, dass Menschen, die ihre Emotionen langfristig unterdrücken, für ihre Mitmenschen schwieriger zu verstehen und somit weniger berechenbare und verlässliche Sozialpartner sind. Neubewertern dagegen sollte ihr positiveres Emotionserleben und ihr offenerer Ausdruck von Emotionen soziale Vorteile bringen. Beides konnte experimentell gezeigt werden.

6.4. Studie 4: Implikationen für das allgemeine Wohlbefinden
Schließlich wurde untersucht, wie sich die langfristige überwiegende Anwendung einer der beiden Vorgehensweisen der Emotionsregulation auf das allgemeine Wohlbefinden ihrer Anwender auswirkt. Untersucht wurden hier Depressivität, Leenszufriedenheit, Selbstwertgefühl, Optimismus, Kontrollüberzeugungen, Autonomie, Persönliches Wachstum, Selbstakzeptanz und Lebensziele.
Es stellte sich heraus, dass Neubewerter zufriedener mit sich selbst, weniger depressiv und optimistischer sind, insbesondere eine höhere Kontrollüberzeugung und ein deutlicheres Lebensziel besitzen.
Unterdrückung hingegen wirkte sich deutlich negativer auf das Wohlbefinden aus. So wiesen Anwender dieser Strategie deutlich mehr depressive Symptome auf, waren weniger lebenszufrieden, selbstbewusst und optimistisch. Sie waren weniger zufrieden mit sich selbst und ihren Beziehungen und zeigten ein tiefgreifend erschütterten Zustand ihres Wohlbefindens.

7. Zusammenfassung
Menschen üben einen beträchtlichen Einfluss auf auf ihre Emotionen aus. Sie wenden eine Vielzahl von Strategien an, um Art und Zeitpunkt erlebter Emotionen zu beeinflussen. Emotionsregulation ist ein Kernthema emotionaler Intelligenz. Es lassen sich u.a. zwei Strategien der Regulation unterscheiden: Kognitive Neubewertung ist das Konstruieren einer potenziell emotionserzeugenden Situation in einer Art und Weise, die deren emotionales Potenzial verändert. Emotionsunterdrückung ist die Hemmung des sich anbahnenden emotionalen Verhaltens. Die beiden Strategien unterscheiden sich u.a. drastisch in ihren langfristigen Auswirkungen auf die affektive Responsivität, die Sozialkompetenz und das Wohlbefinden ihrer Anwender. Die Unterdrückung von erlebten Emotionen scheint sich langfristig stark negativ auf die menschliche Psyche auszuwirken, ihre Veränderung durch kognitive Neubewertung dagegen stark positiv.

8. Literatur
Brody, L. R. (2000). The socialization of gender differences in emotional expression: Display rules, infant temperament, and differentiation. In A. H. Fischer (Ed.), Gender and emotion: Social psychological perspectives (pp. 24–47). New York: Cambridge University Press.
Gross, J. J., John, O. P. (2002), Journal of Personality and Social Psychology 2003, Vol. 85, No. 2, 348–362
Gross, J. J. (1998). Antecedent- and response-focused emotion regulation: Divergent consequences for experience, expression, and physiology. Journal of Personality and Social Psychology, 74, 224–237.
Gross, J. J., & Levenson, R. W. (1997). Hiding feelings: The acute effects of inhibiting positive and negative emotions. Journal of Abnormal Psychology, 106, 95–103.
Nolen-Hoeksema, S., Morrow, J., & Fredrickson, B. L. (1993). Response styles and the duration of episodes of depressed mood. Journal of Abnormal Psychology, 102, 20–28.
Rogers, C. R. (1951). Client-centered therapy: Its current practice, implications, and theory. Boston: Houghton Mifflin
Sheldon, K. M., Ryan, R. M., Rawsthorne, L. J., & Ilardi, B. (1997). Trait self and true self: Cross-role variation in the Big-Five personality traits and its relations with psychological authenticity and subjective wellbeing. Journal of Personality and Social Psychology, 73, 1380–1393.

Stepper, S., & Strack, F. (1993). Proprioceptive determinants of emotional and nonemotional feelings. Journal of Personality and Social Psychology, 64, 211–220.

Strack, F., Martin, L. L., & Stepper, S. (1988). Inhibiting and facilitating conditions of the human smile: A nonobtrusive test of the facial feedback hypothesis. Journal of Personality and Social Psychology, 54, 768–777.

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